Definition der ventrikulären Tachykardie (VT)
Die ventrikuläre Tachykardie (VT), auch Kammertachykardie genannt, ist eine lebensbedrohliche Herzrhythmusstörung, die ihren Ursprung im Kammermyokard hat. Sie ist durch eine hohe Kammerfrequenz von typischerweise ≥ 120 Schlägen pro Minute (definiert ab 100/min), mindestens drei aufeinanderfolgende Schläge und einen verbreiterten QRS-Komplex (> 0,12 s) im EKG gekennzeichnet. Da das Herz bei dieser Frequenz das Blut nicht mehr effektiv pumpen kann, handelt es sich häufig um einen medizinischen Notfall, der eine sofortige Kardioversion oder Reanimation erfordert.
- Ursprung: Die Arrhythmie entsteht durch kreisende Erregungen (Reentry-Mechanismen) oder eine abnorme Automatie in den Herzkammern.
- Sonderformen: Eine Frequenz zwischen 100–120/min wird als "Slow VT" bezeichnet, während Frequenzen ab ca. 200/min in ein Kammerflattern übergehen können.
Einteilung
Die VT wird nach morphologischen Kriterien im EKG und nach ihrem zeitlichen Verlauf klassifiziert.
Morphologische Einteilung
- Monomorphe VT: Alle QRS-Komplexe weisen eine identische Form auf. Dies ist typisch für strukturelle Herzerkrankungen wie die KHK mit Myokardnarben, die einen Reentry-Mechanismus begünstigen.
- Polymorphe VT: Die QRS-Komplexe zeigen eine wechselnde Morphologie. Diese Form tritt häufig bei Kardiomyopathien auf und ist durch eine gesteigerte Automatie des Myokards bedingt.
Einteilung nach Zeitverlauf
- Nicht-anhaltende VT (nsVT): Die Tachykardie-Episoden enden spontan und dauern weniger als 30 Sekunden.
- Anhaltende VT (sVT): Die Dauer der Arrhythmie beträgt 30 Sekunden oder länger.
Ätiologie
Die häufigste Ursache für eine ventrikuläre Tachykardie ist eine schwere organische Herzerkrankung. Bei jüngeren Patienten können auch genetische Syndrome oder idiopathische Formen ohne strukturelle Herzerkrankung vorliegen.
- Bei struktureller Herzerkrankung: Koronare Herzkrankheit (KHK), Zustand nach Myokardinfarkt (MI), Kardiomyopathien und Herzklappenfehler (Vitien).
- Weitere Ursachen: Intoxikationen (z.B. mit Digitalis, Antiarrhythmika) oder Medikamente, die die QT-Zeit verlängern.
- Bei jüngeren Patienten: Idiopathische VT, Brugada-Syndrom oder Long-QT-Syndrom.
Symptomatik und Klinik
Die Symptome reichen von leichten Palpitationen bis zum Herz-Kreislauf-Stillstand. Die hämodynamische Stabilität des Patienten ist entscheidend für die Akuttherapie.
- Pulslose ventrikuläre Tachykardie (pVT): Dies ist die schwerste Form, bei der im EKG eine VT sichtbar ist, aber kein Puls mehr getastet werden kann. Die Klinik entspricht einem Herz-Kreislauf-Stillstand.
- Typische Symptome: Herzrasen, Palpitationen, Schwindel, Dyspnoe, Angina pectoris bis hin zur Synkope.
- Potenzielle Folge: Unbehandelt kann eine VT jederzeit in Kammerflimmern übergehen und zum plötzlichen Herztod führen.
Diagnostik
Die Diagnose wird primär mittels 12-Kanal-EKG gestellt. Die Abgrenzung zu einer supraventrikulären Tachykardie mit Schenkelblock kann herausfordernd sein.
EKG-Befunde
- QRS-Komplex: Charakteristisch sind breite (> 0,12 s) und deformierte QRS-Komplexe.
- AV-Dissoziation: Ein typisches, aber nicht immer vorhandenes Zeichen ist die Entkopplung von Vorhof- und Kammeraktion, bei der mehr QRS-Komplexe als P-Wellen zu sehen sind.
- Beweisende Zeichen: Sogenannte Fusionsschläge (Mischkomplexe aus supraventrikulärer und ventrikulärer Erregung) und Capture-Beats (einzelne normal übergeleitete Sinusschläge) sind beweisend für eine VT.
Therapie der ventrikulären Tachykardie
Die Therapie richtet sich nach der hämodynamischen Stabilität des Patienten. Eine VT ist immer als potenziell lebensbedrohlich einzustufen.
Akuttherapie
- Bei Pulslosigkeit (pVT): Dies ist ein Reanimationsrhythmus. Es muss eine sofortige Defibrillation und eine qualitativ hochwertige kardiopulmonale Reanimation (CPR) nach gültigen Leitlinien erfolgen.
- Bei hämodynamischer Instabilität (z.B. Synkope, Schock): Hier ist eine schnellstmögliche elektrische Kardioversion indiziert, ergänzt durch die intravenöse Gabe von Amiodaron.
- Bei stabiler Hämodynamik: Bei anhaltender VT und stabilem Kreislauf erfolgt primär ein medikamentöser Therapieversuch mit Antiarrhythmika wie Ajmalin oder Amiodaron.
Wichtiger Hinweis: Die Gabe von Kalziumkanalblockern wie Verapamil oder Diltiazem ist bei einer Breitkomplextachykardie unklarer Genese streng kontraindiziert, da dies bei einer VT zu einem schweren hämodynamischen Kollaps führen kann.
Langzeittherapie
Das primäre Ziel der Langzeittherapie ist die Prävention des plötzlichen Herztods.
- Implantierbarer Kardioverter-Defibrillator (ICD): Der ICD ist die wichtigste Maßnahme zur Sekundärprävention bei Patienten, die eine anhaltende VT überlebt haben.
- Katheterablation: Bei bestimmten Formen der VT kann das arrhythmogene Areal im Herzen verödet werden.
- Medikamentöse Prophylaxe: Antiarrhythmika können zur Reduktion von VT-Episoden eingesetzt werden.
Prognose
Die Prognose hängt stark von der zugrundeliegenden Herzerkrankung ab. Bei Patienten mit schwerer struktureller Herzerkrankung ist das Risiko für einen plötzlichen Herztod deutlich erhöht, mit einer 2-Jahres-Mortalität von bis zu 30–50 % ohne adäquate Therapie. Patienten ohne strukturelle Herzerkrankung haben hingegen eine gute Prognose.