Definition
Das Multiple Myelom (MM), auch Morbus Kahler genannt, ist ein hochmalignes (aggressives) B-Zell-Lymphom, das zu den Non-Hodgkin-Lymphomen zählt und sich primär im Knochenmark manifestiert.
Ätiologie und Präkanzerose
Die genaue Ätiologie des Multiplen Myeloms ist unklar, jedoch werden ionisierende Strahlung, Pestizide und chronische Virusinfektionen (z.B. HHV8) als Risikofaktoren diskutiert. Eine wichtige Vorstufe ist die monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz (MGUS), eine klonale Plasmazellproliferation ohne Malignitätskriterien, die in etwa 1 % der Fälle pro Jahr in ein Multiples Myelom übergehen kann und daher regelmäßige Kontrollen erfordert.
Pathomechanismus
Im Zentrum des Pathomechanismus steht die maligne Transformation von Plasmazellen im Knochenmark. Diese entarteten Zellen produzieren in großen Mengen funktionslose, monoklonale Immunglobuline (Paraproteine) oder deren Leichtketten (Bence-Jones-Proteine). Dies führt zu mehreren Komplikationen:
- Antikörpermangelsyndrom: Die Produktion normaler Antikörper wird verdrängt, was die Infektanfälligkeit erhöht.
- Hyperviskositätssyndrom: Eine hohe Konzentration von Paraproteinen im Blut kann zu Sehstörungen, Schwindel und Angina pectoris führen.
- Myelomniere: Ablagerungen der Leichtketten in den Nierentubuli können zu einer Niereninsuffizienz führen.
- Osteolysen: Die Myelomzellen stimulieren Osteoklasten, was zu einem Abbau von Knochensubstanz und in der Folge zu Knochenschmerzen, pathologischen Frakturen und Hyperkalzämie führt.
Symptomatik
Die klinischen Symptome sind vielfältig und umfassen typischerweise:
- Knochenschmerzen, oft als chronische Rückenschmerzen fehlgedeutet, bedingt durch Osteolysen.
- B-Symptomatik (Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsverlust).
- Symptome der Niereninsuffizienz und Hyperkalzämie (z.B. Müdigkeit, Polyurie, Exsikkose).
- Folgen der Knochenmarkinsuffizienz wie Anämie (Schwäche, Blässe), Thrombozytopenie (Blutungsneigung) und Leukozytopenie (Infektanfälligkeit).
Diagnostik
Die Diagnostik stützt sich auf Laboruntersuchungen, bildgebende Verfahren und die Knochenmarkanalyse. Typische Laborbefunde sind eine Panzytopenie, eine extreme Beschleunigung der Blutsenkungsgeschwindigkeit ("Sturzsenkung") und ein erhöhtes β2-Mikroglobulin als prognostischer Marker. In der Serumelektrophorese zeigt sich ein charakteristischer M-Gradient als Ausdruck der monoklonalen Gammopathie. Im Urin kann eine Bence-Jones-Proteinurie nachgewiesen werden.
Diagnosesicherung: SLiM-CRAB-Kriterien
Die Diagnose eines therapiebedürftigen Multiplen Myeloms wird anhand der SLiM-CRAB-Kriterien gestellt. Mindestens ein Kriterium aus der CRAB-Gruppe (Endorganschaden) oder der SLiM-Gruppe (Biomarker) muss zusammen mit dem Nachweis von monoklonalen Plasmazellen im Knochenmark erfüllt sein.
- C (Calcium): Hyperkalzämie mit einem Serumkalzium von > 11 mg/dl.
- R (Renal): Niereninsuffizienz mit einem Serumkreatinin von > 2 mg/dl.
- A (Anemia): Anämie.
- B (Bone): Osteolytische Läsionen im Knochen, nachweisbar in der Bildgebung (z.B. "Schrotschussschädel").
Zusätzliche Myelom-definierende Biomarker (SLiM):
- S (Sixty): Ein Anteil von > 60% monoklonalen Plasmazellen im Knochenmark.
- Li (Light chain): Ein Quotient der freien Leichtketten (beteiligte/unbeteiligte) im Serum von > 100.
- M (MRI): Nachweis von mehr als einer fokalen Läsion (> 5mm) im MRT.
Die definitive Sicherung erfolgt durch eine Knochenmarkbiopsie.
Therapie
Die Therapie richtet sich nach dem Alter und dem Allgemeinzustand des Patienten.
Jüngere Patienten (< 65 Jahre)
Für jüngere und fitte Patienten ist der Therapiestandard eine Hochdosis-Chemotherapie (z.B. mit Melphalan) gefolgt von einer autologen Stammzelltransplantation. Dies bietet die Chance auf eine lange Remission. Anschließend erfolgt oft eine Erhaltungstherapie (z.B. mit Lenalidomid).
Ältere oder komorbide Patienten
Bei älteren Patienten oder solchen mit relevanten Begleiterkrankungen kommen niedrigdosierte Kombinationstherapien zum Einsatz, beispielsweise Schemata, die Bortezomib, Lenalidomid, Cyclophosphamid und Dexamethason enthalten.
Supportive Therapie
Eine umfassende supportive Behandlung ist entscheidend und umfasst:
- Bisphosphonate und ggf. lokale Bestrahlung zur Behandlung von Osteolysen und Knochenschmerzen.
- Substitution von Blutprodukten (Erythrozytenkonzentrate) oder Gabe von Wachstumsfaktoren (G-CSF, Erythropoetin) bei Panzytopenie.
- Gabe von Immunglobulinen bei Antikörpermangelsyndrom.
- Behandlung der Hyperkalzämie und der Niereninsuffizienz.
- Plasmaseparation bei Hyperviskositätssyndrom.
Prognose
Die Prognose des Multiplen Myeloms ist stark stadienabhängig. Die mittlere Lebenserwartung variiert je nach Stadium zwischen einem und fünf Jahren, hat sich aber durch neue Therapieoptionen in den letzten Jahren verbessert.