Primäre Nebennierenrindeninsuffizienz (Morbus Addison)
Die primäre Nebennierenrindeninsuffizienz, auch als Morbus Addison oder Hypokortisolismus bekannt, ist eine seltene chronische Erkrankung, die durch eine verminderte Hormonproduktion der Nebennierenrinde (NNR) infolge einer Zerstörung des Drüsengewebes gekennzeichnet ist.
Ätiologie
Die häufigste Ursache ist mit etwa 80% der Fälle eine autoimmune Entzündung der Nebennieren (Autoimmunadrenalitis). Dabei werden Autoantikörper gegen Schlüsselenzyme der Steroidsynthese, wie die 21-Hydroxylase, gebildet. Weitere Ursachen sind:
- Tuberkulose (ca. 10-20% der Fälle)
- Metastasen (v.a. bei Bronchial-, Mamma-, Nieren- und Kolonkarzinomen)
- Infektionen (z.B. CMV bei AIDS, Meningokokkensepsis mit Waterhouse-Friderichsen-Syndrom)
- Adrenoleukodystrophie
- Nebennierenrindenblutungen (z.B. bei Antikoagulation)
Pathophysiologie
Die Zerstörung der Nebennierenrinde führt zu einem Mangel an drei Hormonklassen:
- Glukokortikoide (v.a. Kortisol): Der Kortisolmangel hebt die negative Rückkopplung auf Hypothalamus und Hypophyse auf. Dies führt zu einer kompensatorisch stark erhöhten Sekretion von ACTH (adrenokortikotropes Hormon) und MSH (melanozytenstimulierendes Hormon).
- Mineralokortikoide (v.a. Aldosteron): Der Aldosteronmangel verursacht eine gestörte Regulation des Salz- und Wasserhaushalts, was zu Dehydratation, Hyponatriämie, Hyperkaliämie und einer metabolischen Azidose führt.
- Androgene (v.a. DHEA): Der Mangel an Androgenen wird bei Männern durch die testikuläre Produktion kompensiert, kann aber bei Frauen Symptome verursachen.
Symptome und Klinik
Die Symptomatik entwickelt sich oft schleichend und ist eine Kombination aus den Folgen des Hormonmangels.
Symptome des Kortisolmangels
- Chronische Schwäche, rasche Ermüdbarkeit und Adynamie
- Gewichtsverlust
- Neigung zu Hypoglykämien
- Arterielle Hypotonie
Folgen der gesteigerten MSH-Sekretion
Ein charakteristisches Zeichen ist die Hyperpigmentierung der Haut ("Bronzehaut"), die besonders an sonnenexponierten Arealen, aber auch in Handlinien und auf Schleimhäuten (z.B. Mundschleimhaut) auftritt. Dieses Symptom ist spezifisch für die primäre NNR-Insuffizienz.
Folgen des Aldosteronmangels
- Dehydratation und arterielle Hypotonie
- Salzhunger
- Elektrolytstörungen wie Hyponatriämie und Hyperkaliämie
Diagnostik
Die Diagnose basiert auf der typischen Klinik und wird durch Laboruntersuchungen gesichert.
Laboruntersuchungen
- Typische Elektrolytkonstellation: Hyperkaliämie und Hyponatriämie (Na+/K+-Quotient < 30).
- Nachweis einer metabolischen Azidose.
- Basale Hormonspiegel (morgens): Kortisol im Serum ist erniedrigt, während ACTH stark erhöht ist.
- Diagnosesicherung: ACTH-Stimulationstest. Nach Gabe von synthetischem ACTH zeigt sich bei Morbus Addison kein oder nur ein unzureichender Anstieg des Kortisolspiegels.
- Ursachenklärung: Nachweis von Autoantikörpern gegen die Nebennierenrinde (z.B. 21-Hydroxylase-Antikörper).
Differenzialdiagnosen
Die wichtigste Differenzialdiagnose ist die sekundäre NNR-Insuffizienz, die durch eine Störung der Hypophyse verursacht wird. Im Gegensatz zur primären Form findet man hier:
- Erniedrigte ACTH-Werte
- Keine Hyperpigmentierung, da die MSH-Sekretion nicht stimuliert wird.
- Normale Aldosteronproduktion, da diese primär über das Renin-Angiotensin-System reguliert wird.
Therapie
Die Behandlung besteht in einer lebenslangen Hormonsubstitution:
- Glukokortikoid: Hydrokortison, dessen Dosis an den zirkadianen Rhythmus angepasst wird.
- Mineralokortikoid: Fludrokortison zur Regulation des Elektrolyt- und Wasserhaushalts.
Patienten müssen geschult werden, die Dosis in Stresssituationen (z.B. bei Infekten, Operationen) selbstständig zu erhöhen, um eine Addison-Krise zu vermeiden. Alle Patienten sollten einen Notfallausweis bei sich tragen.
Komplikation: Addison-Krise
Die Addison-Krise ist ein lebensbedrohlicher Notfall, der durch einen akuten Mangel an Kortisol ausgelöst wird, z.B. bei erhöhtem Bedarf in Belastungssituationen oder bei plötzlichem Absetzen der Medikation.
Symptome der Addison-Krise
- Starke Bauchschmerzen (Pseudoperitonitis), Erbrechen, Durchfall
- Fieber
- Exsikkose, arterielle Hypotonie bis hin zum hypovolämischen Schock
- Schwere Elektrolytentgleisungen (Hyperkaliämie, Hyponatriämie), Hypoglykämie
- Bewusstseinseintrübung bis zum Koma
Therapie der Addison-Krise
Die Behandlung erfordert eine sofortige intensivmedizinische Überwachung und aggressive Therapie:
- Hochdosierte intravenöse Gabe von Hydrokortison: Initial 100 mg als Bolus, gefolgt von 100-200 mg über 24 Stunden.
- Aggressive Volumensubstitution: Infusion von isotonischer Kochsalzlösung (NaCl 0,9%) und Glukose 5% zur Korrektur von Hypovolämie und Hypoglykämie.
- Sorgfältige Überwachung und Korrektur der Elektrolyte. Es dürfen keine kaliumhaltigen Lösungen infundiert werden!