Definition der Migräne
Die Migräne ist eine idiopathische, primäre Kopfschmerzerkrankung, die als komplexe neuronale Funktionsstörung verstanden wird. Sie manifestiert sich in anfallsartigen, wiederkehrenden Episoden von starken, meist einseitigen und pulsierenden Kopfschmerzen, die typischerweise 4 bis 72 Stunden andauern. Charakteristisch sind vegetative Begleitsymptome wie Übelkeit und Erbrechen sowie eine sensorische Überempfindlichkeit gegenüber Licht (Photophobie), Geräuschen (Phonophobie) und Gerüchen.
Einteilung und Formen
Die primäre Einteilung der Migräne erfolgt nach dem Vorhandensein oder Fehlen einer Aura:
- Migräne ohne Aura: Dies ist die häufigste Form und betrifft etwa 75 % der Fälle. Früher wurde sie auch als einfache Migräne oder Hemikranie bezeichnet.
- Migräne mit Aura: Diese Form tritt bei etwa 25 % der Betroffenen auf und ist durch vorübergehende, vollständig reversible neurologische Symptome gekennzeichnet, die dem Kopfschmerz vorausgehen.
Sonderformen
Zu den selteneren Formen gehören die Migräne mit Hirnstammaura (früher "Basilarismigräne"), die hemiplegische Migräne mit reversibler Hemiparese und die vestibuläre Migräne, die durch rezidivierenden Dreh- und Schwankschwindel charakterisiert ist.
Symptomatik und Phasenverlauf
Ein Migräneanfall verläuft typischerweise in mehreren Phasen:
Prodromalstadium
Stunden bis Tage vor dem eigentlichen Kopfschmerz können unspezifische Symptome wie Stimmungsveränderungen, Übererregbarkeit oder Heißhunger auftreten.
Aura (bei Migräne mit Aura)
Die Aura tritt unmittelbar (maximal 60 Minuten) vor der Kopfschmerzphase auf und dauert in der Regel etwa 30 Minuten. Typische Aurasymptome sind:
- Visuelle Störungen: Am häufigsten sind Photopsien (Lichtblitze) oder Flimmerskotome (helle, gezackte Linien). Auch Gesichtsfeldausfälle (Skotome, Hemianopsie) sind möglich.
- Sensorische Störungen: Parästhesien (Kribbeln) oder Hypästhesien (Taubheitsgefühle).
- Weitere neurologische Defizite: Seltener treten Paresen (z.B. Hemiparese) oder Sprachstörungen auf.
Kopfschmerzphase
Die Kopfschmerzphase ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet:
- Lokalisation: Meist einseitig (hemikraniell), oft frontal oder retroorbital lokalisiert. Eine Ausbreitung auf den gesamten Kopf (holokraniell) ist möglich.
- Qualität: Der Schmerz wird als stark, pulsierend, pochend oder hämmernd beschrieben.
- Intensität: Mäßig bis stark, wobei sich die Schmerzen durch körperliche Routineaktivitäten wie Gehen oder Treppensteigen verstärken.
- Dauer: Unbehandelt dauert eine Attacke zwischen 4 und 72 Stunden. Ein Status migraenosus liegt vor, wenn der Kopfschmerz länger als 72 Stunden anhält.
- Begleitsymptome: Übelkeit, Erbrechen, Photophobie und Phonophobie sind sehr häufig.
Diagnostik
Die Diagnose der Migräne wird primär klinisch anhand der Anamnese und der ICHD-3-Kriterien (International Classification of Headache Disorders) gestellt. Eine weiterführende Diagnostik wie eine zerebrale Bildgebung (CCT, cMRT) ist nur bei atypischen Symptomen oder zur Abgrenzung von Differenzialdiagnosen indiziert.
Diagnostische Kriterien (Migräne ohne Aura)
- A: Mindestens 5 Attacken, die die Kriterien B–D erfüllen.
- B: Kopfschmerzdauer von 4–72 Stunden (unbehandelt).
- C: Der Kopfschmerz weist mindestens zwei der folgenden vier Charakteristika auf:
- Einseitige Lokalisation
- Pulsierender Charakter
- Mäßige bis starke Schmerzintensität
- Verstärkung durch körperliche Routineaktivitäten
- D: Während des Kopfschmerzes tritt mindestens eines der folgenden Symptome auf:
- Übelkeit und/oder Erbrechen
- Photophobie und Phonophobie
- E: Die Symptomatik ist nicht durch eine andere Erkrankung besser zu erklären.
Therapie der Migräne
Die Therapie gliedert sich in die Akutbehandlung des Anfalls und die medikamentöse Prophylaxe zur Reduktion der Anfallshäufigkeit.
Anfallsbehandlung (Akuttherapie)
- Allgemeinmaßnahmen: Reizabschirmung (Aufenthalt in einem ruhigen, abgedunkelten Raum) und Bettruhe.
- Leichte bis mittelschwere Attacken: Einsatz von Analgetika wie NSAR (z.B. Ibuprofen, Diclofenac) oder Paracetamol, oft in Kombination mit einem Antiemetikum (z.B. Metoclopramid), das auch die Resorption der Schmerzmittel verbessert.
- Mittelschwere bis schwere Attacken: Spezifische Migränemedikamente wie Triptane (z.B. Sumatriptan) sind Mittel der ersten Wahl. Sie wirken als Serotonin-Agonisten vasokonstriktorisch auf die dilatierten zerebralen Gefäße. Alternativ können Ergotamine eingesetzt werden.
Medikamentöse Prophylaxe
Eine prophylaktische Intervalltherapie ist indiziert, wenn mehr als drei schwere Attacken pro Monat auftreten oder die Anfälle schlecht auf eine Akuttherapie ansprechen. Ziel ist die Reduktion von Frequenz und Intensität der Anfälle.
- Mittel der 1. Wahl:
- Betablocker (Metoprolol, Propranolol)
- Calciumantagonisten (Flunarizin)
- Antikonvulsiva (Topiramat, Valproinsäure)