Magenkarzinom: Definition und Terminologie
Das Magenkarzinom, umgangssprachlich auch als Magenkrebs bezeichnet, ist die häufigste bösartige Neubildung (maligne Neoplasie) des Magens. Es handelt sich um eine maligne epitheliale Krebserkrankung, die im internationalen Klassifikationssystem unter ICD-10: C16 codiert wird.
Epidemiologie und Risikofaktoren
Weltweit ist das Magenkarzinom der fünfthäufigste Krebs, wobei die Inzidenz und Mortalität in westlichen Industrieländern wie Deutschland stark rückläufig sind. Männer sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Frauen, und das Erkrankungsrisiko steigt mit dem Alter, mit einem Gipfel im 7. bis 8. Lebensjahrzehnt.
Risikofaktoren
Die Entstehung des Magenkarzinoms ist multifaktoriell. Zu den wichtigsten Risikofaktoren zählen:
- Infektionen: Die chronische Gastritis durch Helicobacter pylori (Typ B) gilt als der wichtigste einzelne Risikofaktor. Die WHO stuft H. pylori als Karzinogen der Gruppe 1 ein. Auch eine EBV-Infektion kann das Risiko erhöhen.
- Ernährung: Eine nitrat- und salzreiche Kost (z.B. gepökelte, geräucherte Speisen), die zur Bildung kanzerogener Nitrosamine führt, sowie ein geringer Konsum von Obst und Gemüse erhöhen das Risiko.
- Toxische Einflüsse: Rauchen und Alkoholabusus sind ebenfalls bekannte Risikofaktoren.
- Magen-spezifische Vorerkrankungen: Dazu gehören die chronisch-atrophische Autoimmungastritis (Typ A), der Zustand nach einer Magenteilresektion (Billroth I/II), Morbus Ménétrier (Riesenfaltengastritis) und adenomatöse Magenpolypen.
- Genetische Prädisposition: Eine familiäre Häufung, das hereditäre diffuse Magenkarzinom (CDH1-Gen-Mutation), das Lynch-Syndrom (HNPCC) und die Blutgruppe A sind mit einem erhöhten Risiko assoziiert.
Klassifikation des Magenkarzinoms
Magenkarzinome werden nach verschiedenen Kriterien eingeteilt, die für Therapie und Prognose relevant sind.
Laurén-Klassifikation
Diese Einteilung nach dem Wachstumsverhalten ist therapeutisch besonders relevant, da sie den notwendigen chirurgischen Sicherheitsabstand bestimmt.
- Intestinaler Typ: Wächst eher umschrieben und drüsenbildend. Er metastasiert später und hat eine tendenziell bessere Prognose. Ein Sicherheitsabstand von 5 cm bei der Resektion wird angestrebt.
- Diffuser Typ: Wächst infiltrativ und ohne klaren Zusammenhalt der Zellen. Er metastasiert früh lymphogen und hat eine schlechtere Prognose. Hier ist ein Sicherheitsabstand von 8 cm erforderlich.
Histologie
Über 95 % aller Magenkarzinome sind Adenokarzinome. Eine besondere Form ist das Siegelringzellkarzinom, das typischerweise zum diffusen Typ gehört und durch schleimgefüllte Zellen mit einem an den Rand gedrängten Zellkern charakterisiert ist. Es hat oft eine schlechtere Prognose.
Makroskopische Klassifikation nach Borrmann
Diese Klassifikation beschreibt das makroskopische Erscheinungsbild fortgeschrittener Tumoren:
- Typ I: Polypöses, in das Magenlumen ragendes Wachstum.
- Typ II: Scharf begrenztes, schüsselförmiges Ulkus.
- Typ III: Unscharf begrenztes, infiltrierendes Ulkus.
- Typ IV: Diffus infiltrierendes Wachstum, das zur sogenannten Linitis plastica ("Lederflaschenmagen") mit starrer, verdickter Magenwand führen kann.
Stadieneinteilung und Metastasierung
TNM-Stadien
Die Stadieneinteilung erfolgt nach der international gültigen TNM-Klassifikation (Tumor, Nodus, Metastasen). Entscheidend für die Prognose ist die Infiltrationstiefe des Tumors (T-Stadium). Ein Magenfrühkarzinom (T1) ist auf die Schleimhaut (Mukosa, T1a) oder die Schicht darunter (Submukosa, T1b) begrenzt und hat bei radikaler Entfernung eine sehr gute Prognose. Mit zunehmender Infiltrationstiefe (T2-T4) verschlechtert sich die Prognose deutlich.
Metastasierung
Das Magenkarzinom metastasiert frühzeitig auf verschiedenen Wegen:
- Lymphogen: In die regionären Lymphknoten.
- Per continuitatem: Infiltration von Nachbarorganen wie Pankreas, Kolon oder Leber.
- Hämatogen: Über den Blutweg, am häufigsten in die Leber, gefolgt von Lunge und Knochen.
- Intrakavitär: Abtropfmetastasen im Bauchfell (Peritoneum), die bei Frauen zu einem sogenannten Krukenberg-Tumor (Metastase am Ovar) führen können.
Symptomatik
Im Frühstadium verläuft das Magenkarzinom meist asymptomatisch oder mit unspezifischen Oberbauchbeschwerden wie Völlegefühl oder Appetitlosigkeit. Dies führt oft zu einer späten Diagnosestellung.
Ein als pathognomonisch geltendes, wenn auch seltenes Symptom ist eine neu aufgetretene Abneigung gegen Fleisch.
Fortgeschrittene Stadien zeigen sich durch deutliche Symptome wie starken Gewichtsverlust (Tumorkachexie), Leistungsminderung, Anämie durch chronische Blutungen (Teerstuhl) und je nach Tumorlokalisation Dysphagie (bei Kardiakarzinom) oder Erbrechen (bei Magenausgangsstenose). Ein tastbarer Tumor im Oberbauch oder ein vergrößerter Lymphknoten links supraklavikulär (Virchow-Lymphknoten) sind Zeichen einer fortgeschrittenen Erkrankung.
Diagnostik
Die wichtigste Untersuchung zur Diagnosesicherung ist die Ösophago-Gastro-Duodenoskopie (ÖGD, Magenspiegelung) mit Entnahme multipler Biopsien aus verdächtigen Arealen. Die histologische Untersuchung der Gewebeproben sichert die Diagnose.
Nach der Diagnosesicherung erfolgt das Staging zur Bestimmung der Tumorausbreitung. Dies umfasst typischerweise:
- Endosonografie: Zur Beurteilung der lokalen Infiltrationstiefe (T-Stadium) und des Befalls naher Lymphknoten (N-Stadium).
- Computertomografie (CT) von Thorax und Abdomen: Zum Nachweis von Lymphknoten- und Fernmetastasen (z.B. in Leber, Lunge).
- Abdomen-Sonografie: Zur Beurteilung von Lebermetastasen und Aszites.
Therapie
Die Therapieentscheidung wird in einer interdisziplinären Tumorkonferenz getroffen und hängt maßgeblich vom Tumorstadium ab.
Kurative Therapie
Bei lokal begrenzten Tumoren ohne Fernmetastasen ist das Ziel eine Heilung. Das primäre Ziel ist die vollständige chirurgische Entfernung des Tumors im Gesunden (R0-Resektion).
- Endoskopische Resektion: Bei sehr frühen Karzinomen (Frühkarzinom, T1a) kann der Tumor endoskopisch entfernt werden.
- Gastrektomie: Je nach Lokalisation und histologischem Typ wird eine subtotale oder eine totale Gastrektomie (vollständige Magenentfernung) durchgeführt. Standard ist die systematische Entfernung der regionären Lymphknoten (D2-Lymphadenektomie).
- Perioperative Chemotherapie: Bei lokal fortgeschrittenen Tumoren (ab cT3 oder cN+) wird eine Chemotherapie vor (neoadjuvant) und nach (adjuvant) der Operation durchgeführt (z.B. nach dem FLOT-Schema), um die Heilungschancen zu verbessern.
Nach einer totalen Gastrektomie ist eine lebenslange parenterale Substitution von Vitamin B12 erforderlich, da der für die Aufnahme notwendige Intrinsic Factor nicht mehr produziert wird.
Palliative Therapie
Bei metastasierten oder lokal nicht mehr resektablen Tumoren zielt die Therapie auf eine Lebensverlängerung und den Erhalt der Lebensqualität ab. Dies umfasst palliative Systemtherapien (Chemotherapie, ggf. kombiniert mit zielgerichteten Antikörpern wie Trastuzumab bei HER2-Positivität oder Immuntherapie), Strahlentherapie zur Symptomkontrolle (z.B. bei Knochenmetastasen) sowie endoskopische Verfahren zur Sicherung der Nahrungspassage (Stent-Implantation).
Prognose
Die Prognose des Magenkarzinoms ist insgesamt eher ungünstig, da die Diagnose oft erst in fortgeschrittenen Stadien gestellt wird. Die 5-Jahres-Überlebensrate liegt in Deutschland bei ca. 35 %. Sie ist jedoch stark stadienabhängig und reicht von über 80 % bei einem im Frühstadium operierten Karzinom bis unter 10 % im metastasierten Stadium.
Die wichtigsten prognostischen Faktoren sind das erreichte Tumorstadium (insbesondere der Lymphknotenstatus pN) und der Erfolg der Operation (Erreichen einer R0-Resektion). Der diffuse Typ nach Laurén und ein niedriges Grading (G3/G4) sind mit einer schlechteren Prognose assoziiert.