Definition des Karpaltunnelsyndroms (KTS)
Das Karpaltunnelsyndrom, abgekürzt KTS, ist das häufigste periphere Nervenkompressionssyndrom. Es ist definiert durch die Kompression und die daraus resultierende Schädigung des Nervus medianus im Bereich des Karpaltunnels an der Handwurzel. Es stellt die häufigste Läsion dieses Nervs dar.
Epidemiologie
Das KTS ist eine häufige Erkrankung mit einer Prävalenz von etwa 3 % in der Allgemeinbevölkerung. Frauen sind signifikant häufiger betroffen als Männer. Das Risiko steigt mit zunehmendem Alter und tritt gehäuft während der Schwangerschaft auf. In den meisten Fällen manifestiert sich das Syndrom beidseitig.
Ätiologie und Pathophysiologie
Die primäre Ursache ist eine Einengung des Karpaltunnels, die zu einem erhöhten Druck auf den Nervus medianus führt. Der Karpaltunnel wird vom Retinaculum flexorum (einem straffen Band) und den Handwurzelknochen gebildet.
Risikofaktoren und Ursachen
Eine Vielzahl von Faktoren kann zur Verengung des Kanals beitragen:
- Konstitutionelle Enge, oft in Verbindung mit Überbelastung
- Schwangerschaft und Stillzeit (hormonell bedingte Wassereinlagerungen)
- Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus (4-fach erhöhtes Risiko), Hypothyreose und Gicht
- Gewichtszunahme
- Posttraumatische Veränderungen nach Frakturen oder Luxationen
- Systemische Erkrankungen wie rheumatoide Arthritis oder Amyloidose
- Lokale Raumforderungen (z.B. Ganglien, Lipome)
Pathophysiologisch führt die Kompression zunächst zu einer lokalen Demyelinisierung des Nervs, was zu passageren Parästhesien (Kribbeln) führt. Bei anhaltendem Druck entwickelt sich eine Entzündungsreaktion, die zu einer dauerhaften Nervenläsion mit persistierenden Schmerzen, Sensibilitätsstörungen und Paresen (Lähmungen) führen kann.
Symptomatik
Die Symptome entwickeln sich typischerweise schleichend und sind anfangs oft intermittierend.
Frühsymptome
Zu Beginn klagen Patienten über Kribbelparästhesien und Hypästhesien (Taubheitsgefühle) im Versorgungsgebiet des N. medianus. Dies betrifft die Palmarseite (Innenseite) der Finger I bis III (Daumen, Zeige- und Mittelfinger) sowie die radiale Hälfte des vierten Fingers. An der Dorsalseite (Handrücken) sind nur die Fingerkuppen betroffen.
Spätsymptome
Im weiteren Verlauf können die Missempfindungen in Schmerzen übergehen, die in die gesamte Hand und den Arm ausstrahlen. Ein klassisches Spätzeichen bei chronischem Verlauf ist die Atrophie der Thenarmuskulatur (Daumenballen), die zu einer Schwäche bei der Daumenabduktion und -opposition führt.
Diagnostik
Die Diagnose basiert auf der typischen Anamnese, der klinischen Untersuchung und wird durch apparative Diagnostik bestätigt.
Klinische Untersuchung und Provokationstests
- Hoffmann-Tinel-Zeichen: Das Beklopfen des Nervenverlaufs über dem Karpaltunnel löst elektrisierende Missempfindungen im Versorgungsgebiet des N. medianus aus.
- Phalen-Test: Eine maximale Palmarflexion der Handgelenke für 60 Sekunden provoziert oder verstärkt die Symptome.
- Flaschenzeichen: Aufgrund der Schwäche der Thenarmuskulatur kann ein zylindrischer Gegenstand (z.B. eine Flasche) nicht mehr vollständig umschlossen werden; es bleibt eine sichtbare Lücke zwischen Hand und Gegenstand.
Apparative Diagnostik
- Neurografie: Dies ist die wichtigste Untersuchung zur Sicherung der Diagnose. Sie zeigt eine charakteristische Verlangsamung der sensiblen Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) des N. medianus im Bereich des Karpaltunnels sowie eine verlängerte distal-motorische Latenz. Ein unauffälliger Befund des N. ulnaris an derselben Hand stützt die Diagnose.
- Elektromyografie (EMG): Bei fortgeschrittenen Fällen können im EMG der Thenarmuskulatur (z.B. M. abductor pollicis brevis) Denervierungszeichen nachgewiesen werden.
- Nervensonografie: Im hochauflösenden Ultraschall kann eine Abflachung des N. medianus im Tunnel sowie eine Verdickung proximal davon dargestellt werden.
Differenzialdiagnosen
Abzugrenzen sind andere Erkrankungen, die ähnliche Symptome verursachen können:
- Proximale Läsionen des N. medianus (z.B. Pronator-teres-Syndrom)
- Radikuläre Syndrome der Halswirbelsäule (z.B. C7-Wurzel-Kompression)
- Läsionen des Plexus brachialis
- Polyneuropathie (PNP)
Therapie
Die Behandlung richtet sich nach dem Schweregrad und der Dauer der Symptome.
Konservative Therapie
Im Frühstadium, während der Schwangerschaft oder bei milden Symptomen wird ein konservativer Ansatz verfolgt. Die wichtigste Maßnahme ist die Ruhigstellung des Handgelenks in Neutralstellung mittels einer Nachtlagerungsschiene (Orthese). Zusätzlich können Glukokortikoide oral oder als lokale Infiltration zur Abschwellung und Entzündungshemmung eingesetzt werden.
Operative Therapie
Bei ausgeprägter Symptomatik, Versagen der konservativen Therapie oder Nachweis einer fortgeschrittenen Nervenschädigung (z.B. Thenaratrophie) ist eine operative Behandlung indiziert. Das Standardverfahren ist die chirurgische Spaltung des Ligamentum carpi transversum (Retinaculum flexorum). Dieser Eingriff dekomprimiert den Nervus medianus und kann entweder offen oder endoskopisch durchgeführt werden.