Proximale Humerusfraktur (Humeruskopffraktur)
Die proximale Humerusfraktur, auch Oberarmkopffraktur genannt, betrifft überwiegend Frauen über 60 Jahre. Sie entsteht meist durch ein direktes Trauma wie einen Sturz auf die Schulter oder ein indirektes Trauma durch einen Sturz auf den ausgestreckten Arm. Bei Bagatelltraumen sollte an pathologische Frakturen infolge von Osteoporose oder Knochenmetastasen gedacht werden.
Einteilung
Die gängigste Klassifikation ist die nach Neer, die den Schweregrad anhand der Dislokation der Hauptfragmente (Kalotte, Tuberculum majus, Tuberculum minus, Schaft) beschreibt:
- Neer I: Keine oder minimale Dislokation.
- Neer II-V: Dislozierte Frakturen mit Beteiligung des Collum anatomicum, Collum chirurgicum oder der Tubercula.
- Neer VI: Luxationsfraktur.
Eine weitere relevante Einteilung ist die HCTS-Klassifikation nach Resch.
Symptomatik und Diagnostik
Patienten zeigen eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung, eine Schonhaltung des Arms und oft ein ausgeprägtes Hämatom. Die Diagnostik umfasst neben der klinischen Untersuchung eine Röntgenaufnahme der Schulter in drei Ebenen. Zur detaillierten OP-Planung wird häufig eine Computertomographie (CT) angefertigt.
Besonders kritisch ist die Überprüfung der peripheren Durchblutung, Motorik und Sensibilität (pDMS), um Begleitverletzungen des Plexus brachialis auszuschließen. Eine Läsion des Nervus axillaris ist hierbei die häufigste Nervenverletzung. Achten Sie auf folgende Zeichen:
- Hypästhesie über der seitlichen und dorsalen Schulter.
- Parese des M. deltoideus und M. teres minor (eingeschränkte Abduktion).
Therapie und Komplikationen
Die Therapie richtet sich nach dem Grad der Dislokation. Undislozierte oder minimal dislozierte Frakturen werden meist konservativ mit Ruhigstellung in einem Gilchristverband für etwa eine Woche behandelt, gefolgt von frühfunktioneller Physiotherapie. Offene, dislozierte oder mehrfragmentäre Frakturen erfordern eine operative Versorgung, z.B. mittels Plattenosteosynthese oder Humeruskopfprothese. Eine gefürchtete Komplikation, insbesondere bei Frakturen am Collum anatomicum, ist die Humeruskopfnekrose aufgrund einer gestörten Blutversorgung.
Humerusschaftfraktur
Frakturen des Humerusschafts sind seltener. Sie werden nach der AO-Klassifikation in einfache Frakturen (Typ A), Keilfrakturen (Typ B) und komplexe Frakturen (Typ C) eingeteilt.
Diagnostik
Die Diagnose wird durch Röntgenaufnahmen des gesamten Oberarms in zwei Ebenen gestellt. Die klinische Untersuchung ist entscheidend.
Die pDMS-Kontrolle ist bei Humerusschaftfrakturen von höchster Wichtigkeit, da der Nervus radialis im Sulcus nervi radialis direkt am Knochen verläuft und sehr verletzungsanfällig ist. Eine Schädigung führt zu folgenden Symptomen:
- Die klassische "Fallhand" durch Lähmung der Hand- und Fingerstrecker.
- Hypästhesie an der Dorsalseite des Unterarms und der Hand.
Therapie
Nicht oder nur gering dislozierte Frakturen können konservativ behandelt werden. Komplexe, offene oder Polytrauma-assoziierte Frakturen werden operativ versorgt, beispielsweise mittels Plattenosteosynthese, Marknagelung oder bei schweren Weichteilschäden mit einem Fixateur externe.
Suprakondyläre Humerusfraktur (Distale Humerusfraktur)
Diese Frakturform ist besonders bei Kindern sehr häufig und macht dort etwa 10 % aller Knochenbrüche aus. Sie entsteht typischerweise durch einen Sturz auf den Arm bei gebeugtem Ellenbogen. Die Einteilung erfolgt nach der AO-Klassifikation in extraartikuläre (Typ A), partielle intraartikuläre (Typ B) und vollständige Gelenkfrakturen (Typ C).
Diagnostik
Die Diagnostik stützt sich auf Röntgenbilder des Ellenbogens in zwei Ebenen. Differenzialdiagnostisch müssen Ellenbogenluxationen und andere Frakturen des Ellenbogens ausgeschlossen werden.
Bei der klinischen Untersuchung muss im Rahmen der pDMS-Prüfung gezielt auf eine Läsion des Nervus ulnaris geachtet werden, der im Sulcus nervi ulnaris am Epicondylus medialis verläuft. Pathologische Befunde sind:
- Die "Krallenhand" als typisches Lähmungszeichen.
- Sensibilitätsstörungen an der Beugeseite der ulnaren 2 ½ Finger und der Dorsalseite der ulnaren 1 ½ Finger.
Therapie und Komplikationen
Bei Kindern werden nicht dislozierte Frakturen konservativ im Oberarmcast ruhiggestellt. Dislozierte Frakturen erfordern eine geschlossene Reposition und Stabilisierung mittels gekreuzter Kirschner-Drähte. Bei Erwachsenen ist fast immer eine operative Versorgung mittels Platten- oder Zugschraubenosteosynthese indiziert. Eine schwere Komplikation ist die ischämisch bedingte Volkmann-Kontraktur durch eine Schädigung von Gefäßen und Nerven in der Ellenbeuge.