Definition des Horner-Syndroms
Das Horner-Syndrom, auch als oculosympathische Parese bekannt, beschreibt den Funktionsausfall des kranialen Sympathikus, der ein- oder beidseitig auftreten kann. Es manifestiert sich durch einen charakteristischen Symptomenkomplex, die sogenannte Horner-Trias:
- Ptosis (Herabhängen des Oberlids): Verursacht durch den Ausfall des Musculus tarsalis superior.
- Miosis (Pupillenverengung): Die betroffene Pupille ist verengt und zeigt keine Reaktion auf die Gabe von Kokainaugentropfen.
- Pseudoenophthalmus (scheinbar eingesunkener Augapfel): Dieser Eindruck entsteht durch den Ausfall des Musculus orbitalis und die durch die Ptosis verengte Lidspalte.
Pathogenese und Läsionsorte
Die spezifische Ausprägung des Syndroms hängt vom Ort der Schädigung entlang des sympathischen Nervenstrangs ab. Man unterscheidet zwischen zentralen und peripheren Läsionen.
Zentrales Horner-Syndrom
Eine Läsion im Hirnstamm oder Hypothalamus führt zu einem zentralen Horner-Syndrom. Ein typisches Begleitsymptom ist die verminderte Schweißsekretion (Anhidrose) der gesamten ipsilateralen (gleichseitigen) Körperhälfte.
Peripheres Horner-Syndrom
Schädigungen des sympathischen Nervenstrangs außerhalb des Zentralnervensystems führen zu einem peripheren Horner-Syndrom. Die Symptomatik variiert je nach Läsionshöhe:
- Zervikalwurzeln (Halswirbelsäule): Führt in der Regel nicht zu einer Störung der Schweißsekretion.
- Ganglion stellatum: Verursacht eine Anhidrose des ipsilateralen oberen Körperquadranten (Gesicht, Arm, oberer Brustkorb).
- Ganglion cervicale superius / Plexus caroticus: Führt zu einer Hypohidrose (verminderte Schweißbildung) der ipsilateralen Gesichtshälfte.
- Retroorbital (hinter dem Auge): Zeigt sich durch eine isolierte Hypohidrose der ipsilateralen Stirn.
Ätiologie und klinische Symptomatik
Die Ursachen des Horner-Syndroms sind vielfältig und geben wichtige Hinweise auf die zugrundeliegende Erkrankung.
Einseitiges (unilaterales) Horner-Syndrom
Ein einseitiges Auftreten ist meist auf lokale Prozesse zurückzuführen. Zu den wichtigsten und teils lebensbedrohlichen Ursachen gehören:
- Pancoast-Tumor: Ein Lungenspitzenkarzinom, das oft mit einer schmerzhaften unteren Armplexusparese einhergeht.
- Karotisdissektion: Eine Aufspaltung der Halsschlagaderwand, die neben dem Horner-Syndrom zu lokalen Schmerzen, Dysarthrie und dem Risiko eines Schlaganfalls führen kann.
- Clusterkopfschmerz: Gekennzeichnet durch attackenartige, streng einseitige und extrem starke Kopfschmerzen, begleitet von konjunktivaler Injektion und nasaler Kongestion.
- Läsionen des Hirnstamms oder des Zervikalmarks: Können zusätzliche neurologische Ausfälle wie Schwindel, Dysarthrie oder Paresen verursachen.
Beidseitiges (bilaterales) Horner-Syndrom
Ein beidseitiges Horner-Syndrom hat häufig eine systemische Ursache:
- Medikamentös/Toxisch: Z.B. durch Opiatintoxikation (mit Atemdepression), α-Blocker oder Cholinesterasehemmer.
- Metabolische Enzephalopathien: Oft begleitet von Bewusstseinsstörungen.
- Diabetische Neuropathie: Als Komplikation eines langjährigen Diabetes mellitus.
Diagnostik
Die Diagnose wird initial klinisch durch Inspektion und eine neurologische Untersuchung gestellt. Zur Bestätigung und zur genauen Lokalisation der Läsion werden pharmakologische Tests eingesetzt:
- Kokain-Test (5 %): Dient der Bestätigung der Diagnose. Bei einem Horner-Syndrom bleibt die physiologische Pupillenerweiterung (Mydriasis) auf dem betroffenen Auge aus. Der Test hilft, das Syndrom von einer harmlosen Anisokorie (ungleiche Pupillenweite) abzugrenzen.
- Pholedrin-Test (4-OH-Methamphetamin 5 %): Dieser Test dient der Differenzierung zwischen einer prä- und postganglionären Läsion. Bei einer präganglionären Schädigung (vor dem Ganglion) erweitert sich die Pupille, bei einer postganglionären Schädigung (nach dem Ganglion) unterbleibt die Erweiterung.