Definition der Heparin-induzierten Thrombozytopenie (HIT)
Die Heparin-induzierte Thrombozytopenie (HIT) ist eine ernstzunehmende Komplikation, die während einer Antikoagulationstherapie mit Heparin auftreten kann. Sie ist charakterisiert durch einen signifikanten Abfall der Thrombozytenzahl (Thrombozytopenie) und eine paradoxe, stark erhöhte Neigung zur Bildung von Blutgerinnseln (Thromboembolien), was als thrombophile Diathese bezeichnet wird.
Einteilung und Pathophysiologie
Man unterscheidet zwei grundlegend verschiedene Typen der HIT, die sich in Ursache, Häufigkeit und klinischer Relevanz deutlich unterscheiden.
HIT Typ I (nicht-immunologischer Typ)
Die HIT Typ I ist die häufigere, aber klinisch weniger relevante Form. Sie tritt bei 5–10 % der Patienten unter unfraktioniertem Heparin (UFH) und bei 0,5–1 % unter niedermolekularem Heparin (NMH) auf.
- Mechanismus: Eine direkte, nicht-immunologische Interaktion zwischen Heparin und den Thrombozyten führt zu einem leichten Abfall der Plättchenzahl.
- Zeitlicher Verlauf: Typischerweise innerhalb der ersten 2 bis 5 Tage nach Beginn der Heparin-Gabe.
- Klinik: Der Verlauf ist meist mild und asymptomatisch. Die Thrombozytenzahl fällt selten unter 100.000/µl und normalisiert sich in der Regel spontan, auch bei fortgesetzter Heparintherapie.
HIT Typ II (immunologischer Typ)
Die HIT Typ II ist seltener, aber mit einem schweren Verlauf und einem hohen Komplikationsrisiko verbunden. Sie stellt einen medizinischen Notfall dar.
- Mechanismus: Es handelt sich um eine immunologische Reaktion, bei der der Körper Autoantikörper gegen den Komplex aus Heparin und Plättchenfaktor 4 (PF4) bildet. Diese Antikörper aktivieren die Thrombozyten massiv, was zu deren Verbrauch und gleichzeitig zu einem stark erhöhten Thromboserisiko führt.
- Zeitlicher Verlauf: Tritt klassischerweise zwischen dem 5. und 10. Tag der Heparintherapie auf. Bei Patienten, die bereits früher mit Heparin in Kontakt waren (Sensibilisierung), kann die Reaktion jedoch auch sehr schnell eintreten.
- Klinik: Der Verlauf ist schwerwiegend mit einem deutlichen Abfall der Thrombozyten auf Werte unter 100.000/µl. Symptome umfassen Mikroembolien, Petechien, kühle Extremitäten (Akren) und Hautnekrosen.
Diagnostik
Früherkennung
Zur Früherkennung ist bei jeder Heparintherapie eine regelmäßige Kontrolle der Thrombozytenzahl (alle 2-3 Tage) unerlässlich. Zusätzlich muss klinisch auf Anzeichen von Thromboembolien oder Petechien geachtet werden.
Spezifische Diagnostik bei Verdacht auf HIT Typ II
- Labor: Ein charakteristischer Befund ist der Abfall der Thrombozytenzahl auf unter 100.000/µl oder um mehr als 50 % des Ausgangswertes.
- Antikörpernachweis: Die Diagnose wird durch den Nachweis der spezifischen Antikörper gesichert, z.B. mittels HIPA-Test (Heparin-induzierte Plättchenaktivierung) oder PF4-Heparin-ELISA.
- Klinische Scores: Der 4T-Score hilft, die klinische Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer HIT II einzuschätzen.
Therapie
Therapie der HIT Typ I
Eine spezifische Therapie ist meist nicht notwendig, da sich der Zustand von selbst normalisiert.
Therapie der HIT Typ II
Bei Verdacht auf eine HIT Typ II müssen sofort entscheidende Maßnahmen ergriffen werden:
- Sofortiges und vollständiges Absetzen jeglicher Form von Heparin. Dies ist die wichtigste und erste Maßnahme.
- Umstellung der Antikoagulation auf ein alternatives Medikament, das nicht mit den HIT-Antikörpern kreuzreagiert. Hierzu gehören direkte Thrombininhibitoren wie Argatroban (i.v.) oder Bivalirudin sowie das Heparinoid Danaparoid.
- Kontraindikation: Die Gabe von Thrombozytenkonzentraten ist streng kontraindiziert, da dies das Thromboserisiko weiter massiv erhöhen kann.
- Langzeitmanagement: Nach einer durchgemachten HIT II besteht eine lebenslange Kontraindikation für Heparin. Dies muss unmissverständlich im Allergieausweis des Patienten dokumentiert werden, um eine zukünftige Exposition zu verhindern.