Effizient Lernen – statt einfach nur "viel"
Warum Sie der Mythos vom "viel lernen" wertvolle Lebenszeit kostet.
Ihr Ziel ist das spontane, schnelle Abrufen von Wissen bzw. Skills
Vor jeder Diskussion über Lernstrategien sollte man einmal klären, worum es eigentlich am Ende geht: Ziel jeden Lernens im Kontext des Medizinstudiums ist ja Wissen bzw. Skills im richtigen Moment adäquat abrufen zu können. Natürlich gibt es hier gewisse Unterschiede zwischen dem Setting einer mündlichen oder schriftlichen Prüfung bzw. einem klinischen Praktikum oder der späteren ärztlichen Tätigkeit. Nennen wir all diese Szenarien im Weiteren mal "Testsituationen". Es gibt hier sicherlich Nuancen in welcher Form, in welchem Stil und welches Wissen genau hier benötigt wird. Aber der Kern ist eigentlich ein anderer, nämlich das spontane, schnelle Abrufen von Wissen bzw. Skills.
Der Weg ist wichtig, aber das Ziel entscheidet
Im Grunde ist es eigentlich vollkommen irrelevant, wie man in die Position kommt, in der Testsituation Wissen bzw. Skills spontan und schnell abrufen zu können. Niemanden interessiert, wie viel Zeit Sie mit der Vorbereitung verbracht haben oder mit welchen Materialien Sie gearbeitet haben. Sie werden ja zu Beginn einer Prüfung nicht gefragt, wie viele Stunden Sie gelernt haben oder mit welchem Material. Wir möchten damit nicht sagen, dass die Strategie oder das Tool nicht wichtig wäre. Selbstverständlich ist es das, und darum soll es in dieser Analyse auch gehen. Am Ende geht es eben darum, die Anforderungen der Testsituation zu erfüllen. Ist eigentlich offensichtlich, aber wir finden es dennoch mal wichtig, dies klar zu sagen.
Die meisten möchten ihre Ziele mit einem vernünftigen Einsatz an Aufwand erreichen. Wir sagen bewusst nicht: mit dem geringsten Einsatz an Aufwand. Denn es gibt hier noch andere Faktoren. Es geht nicht nur darum, möglichst viel Zeit zu sparen, sondern dass der Weg auch andere Bedürfnisse wie z.B. Neugier, Interesse, interessante Interaktion mit Inhalten abdecken sollte.
Effizienz
Natürlich ist Effizienz, also ein möglichst optimales Verhältnis von Aufwand und Resultaten, ein ganz zentrales Konzept. Es ist aber auch nicht der einzige Faktor oder ein Dogma, wenn man also mit einer bestimmten Lernstrategie vielleicht theoretisch eine halbe Stunde spart, aber das Ganze dann überhaupt keinen Spaß mehr macht. Was hat man dann gewonnen?
Bei der Wahl einer Vorbereitungs- und Lernstrategie gibt es jetzt verschiedene Faktoren, die hier typischerweise in den Entscheidungsprozess einfließen.
Fast alle Entscheidungen im Leben trifft man auf der Basis unvollständiger Informationen. Man trifft die Entscheidung eben so gut wie möglich und je nach Schwere der Konsequenzen einer Entscheidung investiert man mehr oder weniger Aufwand in das Beschaffen von Informationen und die Abwägung. Bei diesem normalen Prozess gibt es jedoch einige typische Fallen, die bei kleineren Entscheidungen weniger Auswirkungen haben, aber natürlich bei größeren strategischen Entscheidungen fatal sein können oder eben einen größeren Schaden anrichten.
Vertrauen in Bewährtes: "Das machen alle/viele so"
Masse an Followern bzw. Kunden ist ein verlockender Surrogatparameter, allerdings für sich alleine genommen, häufig irreführend. Natürlich gibt es auch richtig gute Ideen und Produkte, die von vielen Menschen genutzt werden, aber häufig ist die Realität doch etwas anders. Man hat irgendeinen Mobilfunkvertrag und auch eine bestimmte Versicherung, und es funktioniert soweit auch alles. Man merkt dann erst, wenn es wirklich darauf ankommt, also wenn ein Schaden eintritt oder wenn man mal im Ausland unterwegs ist, wie gut, flexibel und erreichbar der entsprechende Anbieter dann am Ende wirklich ist. Und sehr oft treffen wir solche Entscheidungen auf der Basis unvollständiger Informationen. Natürlich muss die Analyse, oder der Aufwand der Analyse, in einem gewissen Verhältnis zum empfundenen Risiko stehen. Bei größeren Entscheidungen wie Risiko-Lebensversicherung wird man sicherlich, oder Berufsunfähigkeitsversicherung wird man sicherlich mehr Zeit investieren als bei einer Zahnzusatzversicherung, wo die potenziellen Schäden und Kosten deutlich geringer sind. Es geht hier natürlich nicht um Versicherungen. Dies soll nur als Beispiel illustrieren, wie der Aufwand, den wir normalerweise in Entscheidungen investieren, mit dem empfundenen und potenziellen Risiko korreliert.
Gibt es hier eigentlich ein Problem?
Zunächst könnte man die Frage stellen, ob es hier in Bezug auf die Vorbereitung auf die medizinischen Staatsexamina und Prüfungen eigentlich ein Problem gibt. Irgendwie kommen die meisten ja am Ende durch und dann könnte die damit oft verbundenen Mühen auch einfach als gegeben akzeptieren und hinnehmen. Man lernt eben stundenlang irgendwelche Skripte, Bücher oder Online-Tools, wiederholt regelmäßig, ist aktiv in einer Lerngruppe und beim Staatsexamen, insbesondere beim schriftlichen, kreuzt man dann eben einige Monate lang. Das ist mühsam, aber scheint ja zu funktionieren. Gehört ja irgendwie auch zum Selbstbild, mit dazu, dass das Medizinstudium anspruchsvoll und anstrengend ist und man hier eben auch ein relativ hohes Volumen an Zeit investieren muss. Sonst ist man vielleicht auch kein richtiger Medizinstudent?
Die zwei wertvollsten Prinzipien für effizientes Lernen
Priorisierung
Zu sagen, "Ich lerne einfach alles und alles gleich" ist sicherlich keine effiziente Lernstrategie. Es ist eine mögliche Strategie, aber sie geht von der Annahme sehr hoher zeitlicher Ressourcen aus.
Wir alle kennen den Spruch: "Häufig ist es häufig." Und in diesem Kontext bedeutet das auch "Wichtig ist es wichtig." In der Regel wird man also Inhalte priorisieren wollen, also unterschiedlichen Stufen von Wichtigkeit entsprechend mehr oder weniger Aufmerksamkeit und Ressourcen widmen. Da es eine absolute Sicherheit über die Themen einer Prüfung natürlich nicht gibt, sind diese Entscheidungen quasi immer statistischer, probabilistischer Natur. Insofern ist der rationale Ansatz, eben auch den häufigsten Themen, die meiste Zeit und Aufmerksamkeit zu widmen.
Häufig vs. wichtig. Häufig und wichtig sind natürlich nicht dasselbe. Das Attribut „wichtig“ bezieht sich hier auf den Nutzen oder umgekehrt den Schaden, einen bestimmten Inhalt in der Testsituation abrufen zu können - oder eben nicht. In einer Prüfungssituation würde dies bedeuten: Für wie wichtig halten die Prüfer diesen Inhalt, und wie schwerwiegend ist das Nicht-Wissen? Und im klinischen Kontext geht es eben darum: Wie zentral und wichtig der Inhalt ist, und welche potenziellen Konsequenzen hier bei einem Nicht-Wissen eintreten können. Beide Settings sind vom Prinzip her gleich. Wir trennen dies nur deshalb, weil es natürlich immer wieder auch mal Inhalte gibt, die in Prüfungen als sehr wichtig erachtet werden, aber klinisch z.B. weniger wichtig sind.
Idealerweise sollten in medizinischen Prüfungen natürlich wichtigere Inhalte auch häufiger abgefragt und geprüft werden. Über die letzten Jahrzehnte kam es insbesondere bei den IMPP-Prüfungsfragen immer wieder zu berühmten Dissoziationen, u.a. in Form der berühmten Kolibrifragen, also Fragen zu hochspeziellen Inhalten, die einen relevanten Anteil des Fragenvolumens ausgemacht haben. Ein wichtiger Faktor, der hierzu beigetragen hat, war die Veröffentlichung der Altfragen und das Bedürfnis, stets einen gewissen Anteil an neuen, noch nie gestellten Fragen im Fragenkatalog einer Prüfung zu haben. Der Anteil der Alt-Fragen sollte also einen bestimmten Anteil nicht überschreiten. Da das medizinische Wissen zwar groß, aber am Ende doch auch begrenzt ist, führte dies natürlich dazu, dass man immer exotischere Fragen stellen musste, um überhaupt noch neue Fragen zu formulieren. Bekanntermaßen hat sich das IMPP vor kurzem entschieden, die Examensfragen nicht mehr zu veröffentlichen und sich außerdem strategisch mehr auf klinisch relevantes Wissen zu fokussieren. Wir begrüßen diese im Ergebnis sehr sinnvolle Entscheidung und Entwicklung. Im Kern bedeutet dies, dass man wieder mehr Fragen stellen möchte, die näher an der klinischen Praxis sind und besser das Spektrum der Häufigkeiten in der Realität widerspiegeln. Früher war es leider normal, dass man sich zwei separate Fragen stellen musste, nämlich:
- Ist [ein Inhalt] klinisch relevant? oder
- Ist [ein Inhalt] prüfungsrelevant?
Wenn man sich früher nur die erste Frage nach der klinischen Relevanz gestellt hat und entsprechend gelernt hat, galt man eher als Idealist und hatte wohl auch objektiv einen gewissen statistischen Nachteil in Examina. Sicherlich war dies eine gute, langfristige Strategie, eben die klinisch wichtigen Inhalte später besser anwendbar und abrufbereit zu haben. Aber das kurz- und mittelfristige Ziel von Prüfung und Examen stellte eben teilweise etwas andere Anforderungen. Es ist nun zu erwarten, dass hier wieder eine Annäherung stattfindet, was in der Konsequenz bedeutet, dass die mentale Akrobatik der Unterscheidung zwischen klinisch relevant und prüfungsrelevant reduziert werden kann bzw. eigentlich auch wegfallen darf. Das sind im Grunde großartige Nachrichten für Sie, denn so können Sie wieder intuitiver lernen und haben automatisch nicht nur das Gefühl, dass Sie etwas nur für die Prüfung lernen, sondern eben gleichermaßen für den Beruf. Da bei jedem Examen nur ein Teil der Fragen neu erstellt wird, wird es sicherlich etwas dauern, bis diese Veränderung komplett umgesetzt und spürbar ist, aber dies hat bereits begonnen.
Priorisierung macht Arbeit. Wenn man beim Prozessieren von Inhalten ständig den parallelen mentalen Prozess mitlaufen lässt, zu entscheiden "Ist das denn wichtig? Wie wichtig ist es? Ist es prüfungsrelevant?", dann geht natürlich ein gewisser Teil mentaler Energie für das eigentliche Lernen verloren. Idealerweise nimmt Ihnen Ihr Lerntool einen großen Teil dieser mentalen Arbeit ab. Das kann zum Beispiel durch entsprechende farbliche Hervorhebung, Schriftgröße usw. so gestaltet sein, dass die Prioritäten von Themen und auch einzelne Aspekte der Themen für sie intuitiv und quasi automatisch abläuft. Es bleibt dann immer noch die Möglichkeit, dass Sie diese Priorisierung hin und wieder einmal kritisch prüfen, je nachdem, ob Sie eben spezifische Schwerpunkte legen wollen oder müssen. Aber grundsätzlich sollte die Arbeit der Priorisierung vom Lernmaterial übernommen werden. Wir empfehlen also, dass Sie Ihre Lernmaterialien einmal sehr kritisch prüfen, ob Sie hier ausreichend Unterstützung bei der Priorisierung haben oder, ob Sie sich häufig die Frage stellen, "Ist das denn wichtig?"
Detaillierte Priorisierung passt sich an die Situation an. Aus unserer Erfahrung sind die Bedürfnisse an einem Priorisierungssystem unterschiedlich, je nachdem, wie viel zeitliche Ressourcen man für die Vorbereitung auf eine bestimmte Prüfung hat und auch in welcher Phase der Vorbereitung man sich befindet. Wenn man relativ luxuriös Zeit eingeplant hat und noch ganz am Anfang steht, wird man sich sicherlich erlauben, relativ wenige oder möglichst wenige Inhalte tatsächlich zu ignorieren. Man ist ja hochmotiviert und hat den guten Vorsatz, möglichst umfangreich zu lernen. In einer späteren Phase der Vorbereitung, nur wenige Wochen vor der Prüfung, wenn man also schon sehr viel gelernt hat, möchte man aber oft den Fokus wirklich nur auf die wichtigsten Dinge legen, damit man sicherstellt, dass man diese häufigen und zentralen Inhalte wirklich ganz sicher abrufen kann. Es ist in dieser Phase oft nicht praktikabel, eben einfach noch mal alles zu wiederholen. Es wird dann meistens doch zu viel. Das heißt, hier wird man sich auf die essentiellen und sehr wichtigen Inhalte fokussieren. Und natürlich gibt es auch einmal nicht planbare Ereignisse, wie zum Beispiel Krankheit, wo dann plötzlich ein gewisser Teil der Vorbereitungszeit nicht zur Verfügung steht und man hier also refokussieren muss.
Lerntechniken und Materialien
Unser Interessenskonflikt
Natürlich sind wir als Autoren und Anbieter der Audio▶️MindMaps in einem gewissen Interessenkonflikt, da wir ja ein Produkt anbieten. Nun ist es aber so, dass wir vor einigen Jahren die Entscheidung treffen mussten, in welche Richtung wir bei unserem Produktsortiment gehen. Die Erstellung eines Art Kurzlehrbuchs oder von Karteikarten und ähnlichen Medien, die es im Wesentlichen schon gibt, wäre deutlich einfacher gewesen. Unser Ziel war aber eben nicht, einfach irgendein Lernmaterial anzubieten und an den Markt zu bringen, sondern ein ganz wichtiges Problem mit den bestehenden Lernmaterialien permanent zu lösen. Dies war und ist ein intensiver Prozess des kritischen Denkens und Testens, der uns aber zur heutigen Version der Audio-MindMaps geführt hat. Primär bedeutete unsere Entscheidung für die Priorisierung der Effizienz der Lernenden, aber erst einmal einen deutlich höheren Aufwand. Dies war es uns aber wert, da wir daran glauben, dass wirkliche Lösungen und Verbesserungen, also Innovationen, wichtig sind, um langfristig kompetitiv zu sein und auch einfach Spaß machen. Wenn wir bestimmte Lernstrategien oder Materialien nicht empfehlen, geschieht es immer vor dem Hintergrund, dass wir genau solche Materialien ohne größere Schwierigkeiten hätten erstellen können. Wenn wir glauben würden, dass z.B. Karteikarten der beste Weg wären, dann hätten wir Karteikarten erstellt. Es wäre schneller, einfacher und billiger gewesen. Wir haben uns stattdessen für den zunächst etwas mühsameren Weg entschieden, der aber in so vielen Beispielen der intensiven Betreuung von Prüfungsvorbereitungen zu Ergebnissen führt, die uns selbst immer wieder erstaunen.
Erinnern ist wichtiger als Wiederholen
Es ist heutzutage aus lernpsychologischer Sicht gut belegt, dass erinnerungsbasierte Lerntechniken (Retrieval Practice) den rein Input-basierten Lerntechniken (Lesen, nochmal Lesen, und dann nochmal) deutlich überlegen sind (Roediger & Karpicke, 2006; Karpicke & Blunt, 2011; Roediger & Butler, 2011).
Der Moment des sich erinnern müssens/wollens ist der entscheidende Moment, bei dem Wissen abrufbar(er) abgelegt wird.
Der Hauptwiderstand gegenüber dieser Methode entsteht dadurch, dass beim Prozess des Erinnerns die meist vorhandenen Lücken im Wissen klar sichbar werden und dies unangenehme Gefühle auslösen kann. Ein einfaches: "Na, dann lese ich das Thema eben einfach noch mal", vermeidet diese Gefühle, verhindert aber auch die neuronale Vernetzungstiefe, die beim Erinnern entsteht. Es ist ganz wichtig zu verstehen, dass es beim Erinnern nicht darum geht, sich vollständig an alles zu erinnern, was man gelesen hat, sondern dass man trainiert, sich an möglichst viel zu erinnern und dann im nächsten Schritt die Lücken mit einem Blick in ein Quellmaterial natürlich auch schließt. Die reine Exposition gegenüber der Situation "Ich muss/möchte mich jetzt mal an etwas erinnern" triggert aber neuronale Prozesse, die anders, nur viel schwerer zu erreichen sind.
Das Setting ist hierbei quasi egal: dies kann alleine oder mit anderen (Lerngruppen) stattfinden, die Erinnerung verbalisiert/ausgesprochen oder mental reproduziert werden.
Extrem sinnvolle und effektive Varianten dieser Methoden sind auch das Unterrichten oder Erklären von Inhalten gegenüber anderen. Im Wesentlichen ist dies eine Variante der retrieval-basierten Methode, denn um etwas zu erklären, muss man sich ja an den Inhalt zunächst erinnern. Und zusätzlich erfordert es noch, dass man mental eine gewisse Systematik des Themas abgelegt hat, um Inhalte strukturiert und manchmal auch vereinfacht darstellen zu können.
Spaced Repetition: Karteikarten, anki et al.
Manche lieben sie, manche hassen sie: diverse analoge oder digitale Karteikartensysteme mit denen die Methode spaced repetition implementiert wird. Bei dieser Methode geht es darum, Fragen oder Inhalte abzufragen und je nachdem, ob die Antwort richtig war oder der Inhalt erinnert werden konnte, die Frage früher oder häufiger wiederholt wird oder eben nicht. Insofern gehört dies in die Kategorie von Retrieval-basierten Lernsystemen oder Lernmethoden, was positiv ist. Allerdings gibt es auch einige potenzielle Nachteile der Methode: die Inhalte sind meist relativ kurz, sodass sie eben auf eine analoge oder digitale Karteikarte passen. Insofern ist das Springen zwischen Inhalten oder verschiedenen Themen sehr häufig, und es entstehen potenziell weniger tiefe Querverbindungen und Assoziationen - wobei hier natürlich die individuelle, subjektive Erfahrung auch deutlich anders sein kann. Nach unserer Einschätzung spielt hier der Faktor „Ich habe ein System“ eine große Rolle. Es kann mentale Arbeit deutlich reduzieren, wenn man einfach einem bestimmten System folgt, ohne sich ansonsten viele Gedanken machen zu müssen. Die wissenschaftliche Evidenz für Spaced Repetition als Prinzip ist sehr stark (Cepeda et al., 2006; Dunlosky et al., 2013). Allerdings hängt die praktische Effektivität davon ab, wie das System implementiert wird - insbesondere bei der Verwendung mit isolierten Fakten auf Karteikarten können Kontextverbindungen und tieferes Verständnis eingeschränkt werden (Karpicke & Blunt, 2011). Nach unserer Erfahrung ist die Effektivität dieser Methode stark von der individuellen Umsetzung und persönlichen Präferenz abhängig. Unsere Empfehlung ist daher: Wenn Sie eine hohe Affinität zu diesem System haben und Ihnen das vielleicht auch einfach Spaß macht, dann ist sicherlich dieser Faktor der Motivation auch ein ganz wichtiger Aspekt, der diese Methode für Sie gut passend machen kann. Und natürlich hat die Methode auch einen Effekt, wir würden sie jedoch nicht als allgemein effektivste Methode bezeichnen.
Lesen, lesen und nochmal lesen
Wenn Sie es bis hierher in diesem Artikel geschafft haben, können Sie sich sicher schon denken, was wir hier zu sagen haben. Das Lesen von neuen Informationen gehört natürlich irgendwie dazu. Die Effektivität hängt aber sehr stark davon ab, ob die dargestellten Inhalte präzise fokussiert sind.
Außerdem haben wir beobachtet, dass das Lesen von Texten deutlich weniger effektiv zu sein scheint, als die Wahrnehmung von Inhalten über visuelle Strukturen, Schemata, Grafiken. Und auch Mindmaps sind natürlich eine Variante von solchen Visualisierungen. Wir vermuten, dass die Dekodierung von sprachlicher Syntax und Grammatik einen wesentlichen Teil der mentalen Arbeit absorbiert, die dann nicht für das Vernetzen und Integrieren der Inhalte zur Verfügung steht.
Die Rolle des Kreuzens neu denken
Das Kreuzen wird allgemein als ein ganz zentraler Bestandteil der Vorbereitung auf das schriftliche Staatsexamen angesehen. Nach unserer Erfahrung und Einschätzung aktueller Lernforschung sollte die Rolle des Kreuzens jedoch differenzierter betrachtet werden.
Das Kreuzen sollte die Funktion haben, sich an die Fragestellung und die Prüfungssituation zu gewöhnen, ist nach unserer Erfahrung allerdings nicht die passende Methode für die Wissensakkumulation.
Um uns dem Thema zu nähern, hier mal der Vorschlag einer Metapher:
Wenn sie sich auf einen Marathon vorbereiten und sie sind - sagen wir mal - relativ untrainiert und noch nicht viele Marathons in der letzten Zeit gelaufen, dann besteht ihr Training ja nicht darin, dass sie jetzt anfangen, möglichst viel Marathon zu laufen. Sie werden andere Methoden verwenden, um sich auf das Ziel am Ende, nämlich den Marathonlauf, vorzubereiten. Sie werden ein gewisses Lauftraining machen über kürzere Strecken, entsprechende Pausentage einhalten, Stretching, Ernährung, Elektrolyte. All diese Faktoren gehören in Ihre Vorbereitung. Aber das Laufen eines Marathons werden sie erst relativ kurz, nämlich wenige Wochen vor dem Wettbewerb machen. Es wird sicher den ein oder anderen Halbmarathon mal geben, aber die volle Marathonstrecke werden sie vielleicht vor dem Wettkampf höchstens ein- oder zweimal laufen.
In dieser Metapher möchten wir Ihnen zeigen, wie wenig sinnvoll der weit verbreitete Gedanke ist, zu sagen: „Naja, in der Prüfung muss ich ja Fragen kreuzen, also sollte meine Vorbereitung auch hauptsächlich aus dem Kreuzen von Fragen bestehen.“ Wir sagen auch nicht, dass das Kreuzen von Fragen so gar nicht in der Vorbereitung stattfinden sollte. Selbstverständlich sollten Sie sich an den Fragetyp gewöhnen und hin und wieder auch mal ein paar Stunden gekreuzt haben in der letzten Phase Ihrer Prüfungsvorbereitung. Aber das Kreuzen ist an sich keine effektive Lernstrategie. Aus der Forschung wissen wir, dass bei der Verwendung von Multiple-Choice-Fragen als Prüfungsvorbereitung im Wesentlichen Mustererkennung (Pattern Recognition) trainiert wird, aber weniger ein vernetztes Verständnis für die eigentlichen Inhalte (Freiwald et al., 2014; Veloski et al., 2005). Eine Analyse von über 4.000 deutschen Staatsexamensfragen zeigte, dass mehr als die Hälfte der Fragen auf Pattern Recognition basieren (Freiwald et al., 2014). MCQs erfordern zudem Recognition (Wiedererkennen) statt Recall (aktives Abrufen), was fundamental unterschiedliche kognitive Prozesse sind (Schuwirth & van der Vleuten, 2004). Natürlich bleibt schon auch etwas Fachwissen dabei hängen, aber es geht uns ja hier in diesem Artikel nicht darum, herauszuarbeiten, dass diese Methoden irgendeinen Effekt haben, sondern es geht um die Frage, was ist die effizienteste Methode.
Mit der Methode des Kreuzens verbunden, aber eigentlich separat, war der mentale Effekt des Gefühls, man verschaffe sich einen gewissen Vorteil, weil man eben Altfragen liest, von denen ja zumindest einige im eigenen Examen wieder in ähnlicher oder zum Teil identischer Form auftauchen würden. Wir hören sehr häufig, dass das Kreuzen eine relativ hohe Frustration auslöst, weil man eben auch spürt, dass sich die Methode als Lernmethode nicht optimal eignet. Aber es überwiegt dann eben doch der Anreiz, sich diesen potenziellen Vorteil nicht entgehen zu lassen. Es ist in gewisser Weise FOMO (Fear of Missing Out).
Durch den Stop der Veröffentlichung der IMPP-Altfragen gibt es ein weiteres Argument, den Anteil des Kreuzens in ihrer Vorbereitung deutlich zu reduzieren. Die Verfügbarkeit von Altfragen-Datenbanken hat in der Vergangenheit das Kreuzen als zentrale Lernmethode etabliert. Mit dem Wegfall der offiziellen IMPP-Veröffentlichungen könnte dies ein Anlass sein, Lernstrategien grundsätzlich neu zu überdenken und den Fokus verstärkt auf andere Lernmethoden zu lenken. Noch einmal: Das Kreuzen ist für eine gewisse Konditionierung natürlich essenziell, ist nach unserer Erfahrung als alleinige zentrale Lernmethode weniger effizient als andere Ansätze.
Literatur
Cepeda, N. J., Pashler, H., Vul, E., Wixted, J. T., & Rohrer, D. (2006). Distributed practice in verbal recall tasks: A review and quantitative synthesis. Psychological Bulletin, 132(3), 354-380.
Dunlosky, J., Rawson, K. A., Marsh, E. J., Nathan, M. J., & Willingham, D. T. (2013). Improving students' learning with effective learning techniques: Promising directions from cognitive and educational psychology. Psychological Science in the Public Interest, 14(1), 4-58.
Freiwald, T., Salimi, M., Khaljani, E., & Harendza, S. (2014). Pattern recognition as a concept for multiple-choice questions in a national licensing exam. BMC Medical Education, 14, 232. https://doi.org/10.1186/1472-6920-14-232
Karpicke, J. D., & Blunt, J. R. (2011). Retrieval practice produces more learning than elaborative studying with concept mapping. Science, 331, 772-775.
Roediger, H. L., & Butler, A. C. (2011). The critical role of retrieval practice in long-term retention. Trends in Cognitive Sciences, 15(1), 20-27.
Roediger, H. L., & Karpicke, J. D. (2006). Test-enhanced learning: Taking memory tests improves long-term retention. Psychological Science, 17(3), 249-255.
Schuwirth, L. W., & van der Vleuten, C. P. (2004). Different written assessment methods: What can be said about their strengths and weaknesses? Medical Education, 38(9), 974-979.
Veloski, J., Tai, S., Evans, A. S., & Nash, D. B. (2005). Clinical vignette-based surveys: A tool for assessing physician practice variation. American Journal of Medical Quality, 20(3), 151-157.