Akute Komplikationen bei Diabetes mellitus
Akute Komplikationen des Diabetes mellitus resultieren primär aus Blutzuckerentgleisungen und stellen stets eine Notfallsituation dar. Man unterscheidet hierbei die Hyperglykämie (Überzuckerung) und die Hypoglykämie (Unterzuckerung).
Hyperglykämie und diabetisches Koma
Eine Hyperglykämie ist definiert als ein Blutzuckeranstieg auf über 140 mg/dl (7,8 mmol/l) zwei Stunden nach einer Mahlzeit. Schwere hyperglykämische Entgleisungen können in ein diabetisches Koma (Coma diabeticum) münden, eine lebensbedrohliche Situation. Es gibt zwei wesentliche Formen des diabetischen Komas:
Diabetische Ketoazidose (DKA)
Die DKA ist eine schwere Stoffwechselentgleisung, die hauptsächlich bei Typ-1-Diabetes durch einen absoluten Insulinmangel ausgelöst wird. Sie kann die Erstmanifestation der Erkrankung sein.
- Symptome: Typische Anzeichen sind eine vertiefte, schnelle Atmung (Kussmaul-Atmung) als Kompensation der metabolischen Azidose, ein fruchtiger Azetongeruch der Atemluft, Übelkeit, Erbrechen (azetonämisches Erbrechen) und Bewusstseinsstörungen bis hin zum Koma.
- Diagnostik: Die Diagnose wird durch die Kombination aus Hyperglykämie (Blutglukose > 250 mg/dl), dem Nachweis von Ketonkörpern im Blut oder Urin und einer metabolischen Azidose (arterieller pH < 7,35) gestellt.
- Therapie: Die Behandlung erfolgt stationär auf einer Intensivstation und umfasst drei Kernpunkte:
- Flüssigkeitssubstitution: Initialer Ausgleich der Dehydratation mit isotonen Elektrolytlösungen (z.B. 1000 ml in der ersten Stunde).
- Insulingabe: Kontinuierliche intravenöse Gabe von Humaninsulin (z.B. 0,1 IE/kg KG/h), jedoch erst nach Beginn des Flüssigkeitsersatzes und unter Kontrolle des Kaliumspiegels.
- Elektrolytausgleich: Insbesondere die Korrektur des Kaliumhaushalts ist entscheidend, da Insulin zu einer Hypokaliämie führen kann. Der Blutzucker darf nicht schneller als 50-100 mg/dl pro Stunde gesenkt werden, um die Gefahr eines Hirnödems zu minimieren.
Hyperosmolares Koma
Das hyperosmolare Koma tritt typischerweise bei Typ-2-Diabetes auf und ist durch einen relativen Insulinmangel gekennzeichnet. Der noch vorhandene Rest an Insulin verhindert eine ausgeprägte Ketogenese, weshalb eine Azidose meist ausbleibt.
- Symptome: Charakteristisch sind eine extreme Hyperglykämie (oft > 800 mg/dl), eine massive Dehydratation (Exsikkose) mit Polyurie und schwere neurologische Symptome wie Krampfanfälle und Bewusstlosigkeit. Die Kussmaul-Atmung fehlt.
- Therapie: Die oberste Priorität hat der langsame und vorsichtige Flüssigkeitsausgleich (z.B. mit NaCl 0,9 %), da das Risiko eines Hirnödems besonders hoch ist. Die Insulingabe erfolgt niedrig dosiert und erst nach der initialen Rehydratation.
Hypoglykämie (Unterzuckerung)
Eine Hypoglykämie ist nicht durch einen festen Grenzwert, sondern durch das Auftreten typischer Symptome bei niedrigem Blutzucker definiert, die sich nach Gabe von Glukose bessern. Ursachen sind oft eine falsche Insulindosierung, ausgelassene Mahlzeiten oder erhöhter Glukoseverbrauch (z.B. durch Sport oder Alkohol).
- Symptome: Man unterscheidet autonome (adrenerge) Symptome wie Schwitzen, Zittern, Heißhunger und Palpitationen von neuroglykopenischen Symptomen wie Bewusstseinsstörungen, Verwirrtheit, Sehstörungen, Krämpfen und im schlimmsten Fall dem hypoglykämischen Koma.
- Therapie: Die Behandlung richtet sich nach dem Bewusstseinszustand des Patienten:
- Bei Bewusstsein: Orale Gabe von 20-30 g schnell wirksamen Kohlenhydraten (z.B. Traubenzucker, Fruchtsaft).
- Bei Bewusstlosigkeit: Intravenöse Gabe von hochprozentiger Glukoselösung (z.B. 20–40 ml 40%ige Glukose) oder die Verabreichung von Glukagon (z.B. als Nasenspray).
Chronische Komplikationen (Langzeitfolgen)
Chronische Komplikationen des Diabetes mellitus entwickeln sich über Jahre hinweg, insbesondere bei unzureichender Blutzuckereinstellung. Sie betreffen vor allem die Blutgefäße und Nerven.
Diabetische Mikroangiopathie
Die Schädigung der kleinen Blutgefäße (Kapillaren) führt zu folgenden Krankheitsbildern:
- Diabetische Retinopathie: Eine Erkrankung der Netzhautgefäße, die eine der häufigsten Ursachen für Erblindung bei Erwachsenen in Industrieländern ist.
- Diabetische Nephropathie: Eine Schädigung der Nierenkörperchen, die fortschreitend zu einer Niereninsuffizienz bis hin zur Dialysepflichtigkeit führen kann.
- Diabetische Neuropathie: Eine Schädigung der peripheren Nerven. Sie äußert sich oft als symmetrische Polyneuropathie der Füße und Hände mit Symptomen wie Kribbeln, Taubheit und Schmerzen. Auch das autonome Nervensystem kann betroffen sein (z.B. Gastroparese, erektile Dysfunktion).
Diabetische Makroangiopathie
Die Schädigung der großen Arterien (Makroangiopathie) entspricht einer beschleunigten Arteriosklerose und erhöht das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen erheblich.
- Koronare Herzkrankheit (KHK) mit erhöhtem Risiko für einen Herzinfarkt.
- Periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK), die die Durchblutung der Beine beeinträchtigt.
- Zerebrovaskuläre Erkrankungen mit einem erhöhten Risiko für einen Schlaganfall.
Weitere Langzeitfolgen und Komorbiditäten
- Diabetisches Fußsyndrom: Eine ernste Komplikation, die aus der Kombination von Neuropathie und pAVK entsteht. Verminderte Schmerzwahrnehmung und schlechte Wundheilung können zu chronischen Geschwüren (Ulcera) und Amputationen führen.
- Erhöhte Infektanfälligkeit: Diabetiker neigen vermehrt zu Haut- und Harnwegsinfektionen.
- Hauterkrankungen: Neben Infektionen ist die Necrobiosis lipoidica eine seltene, aber charakteristische Hautveränderung.
Vorsorgeuntersuchungen zur Prävention
Zur frühzeitigen Erkennung und Behandlung von Langzeitkomplikationen sind regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen unerlässlich.
- Vierteljährlich: Messung von Blutdruck und Gewicht, HbA1c-Bestimmung und eine gründliche Inspektion der Füße.
- Jährlich:
- Augenärztliche Untersuchung: Kontrolle des Augenhintergrunds zur Früherkennung einer Retinopathie.
- Neurologische Untersuchung: Prüfung der Sensibilität (z.B. mit dem Stimmgabeltest) und der Reflexe.
- Umfassende Laboruntersuchung: Überprüfung der Nierenfunktion (Kreatinin, Albumin im Urin) und des Lipidstatus.
- Untersuchung des Gefäßsystems: Erhebung des Pulsstatus.