Terminologie und Definitionen degenerativer Wirbelsäulenerkrankungen
Degenerative Erkrankungen der Wirbelsäule umfassen verschiedene Abnutzungserscheinungen. Der Oberbegriff für diese Veränderungen ist die Spondylosis deformans. Typisch sind morgendliche Schmerzen, die sich mit Bewegung bessern (Anlaufschmerz).
Spondylarthrose (Facettensyndrom)
Die Spondylarthrose, auch Wirbelgelenkarthrose oder Facettensyndrom genannt, bezeichnet degenerative Veränderungen spezifisch an den kleinen Zwischenwirbelgelenken (Facettengelenken).
Spondylose
Die Spondylose beschreibt degenerative Veränderungen direkt an den Wirbelkörpern, die durch knöcherne Ausziehungen (Spondylophyten) an den Wirbelkörperkanten gekennzeichnet sind.
Chondrose und Osteochondrose
Eine Chondrose ist eine Höhenminderung der Bandscheibe aufgrund degenerativer Prozesse. Wenn zu dieser Bandscheibendegeneration zusätzlich knöcherne Veränderungen der angrenzenden Wirbelkörper-Grund- und Deckplatten (z.B. Sklerosierung, Unregelmäßigkeiten) hinzukommen, spricht man von einer Osteochondrose.
Epidemiologie
Degenerative Wirbelsäulenveränderungen sind sehr häufig und ihre Prävalenz steigt mit dem Alter stark an. Radiologische Zeichen finden sich bei über 90 % der über 60-Jährigen. Wichtig ist die oft deutliche Diskrepanz zwischen dem radiologischen Befund und der klinischen Symptomatik, da viele Patienten trotz ausgeprägter Befunde asymptomatisch bleiben. Die Hauptmanifestation liegt zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr.
Lokalisation (Prädilektionsstellen)
- Halswirbelsäule (HWS): Vor allem die unteren, mobilen Segmente HWK 5/6 und HWK 6/7.
- Lendenwirbelsäule (LWS): Hauptsächlich der lumbosakrale Übergang in den Segmenten LWK 4/5 und LWK 5/S1.
- Brustwirbelsäule (BWS): Seltener betroffen, da sie durch den Brustkorb stabilisiert wird.
Risikofaktoren
Zu den Hauptrisikofaktoren zählen das Alter, genetische Prädisposition, mechanische Über- und Fehlbelastungen (z.B. Adipositas, schwere körperliche Arbeit, langes Sitzen), Nikotinabusus und vorangegangene Traumata.
Symptomatik
Typische degenerative Symptome
Die Schmerzen sind typischerweise dumpf, tief, schwer lokalisierbar und belastungsabhängig (Kreuz- oder Nackenschmerz). Charakteristisch sind Anlaufschmerzen nach Ruhephasen und Ermüdungsschmerzen bei längerer Belastung. Lokale Befunde umfassen Druckschmerzhaftigkeit, paravertebrale Muskelverspannungen (Hartspann) und eine eingeschränkte Beweglichkeit. Häufig tritt eine pseudoradikuläre Symptomatik auf, bei der Schmerzen ausstrahlen, sich aber nicht an ein Dermatom halten und keine objektivierbaren neurologischen Ausfälle (Paresen, Reflexabschwächung) vorliegen.
Symptome bei Komplikationen
Bei fortgeschrittener Erkrankung kann es zu Komplikationen mit spezifischen Symptomen kommen:
- Radikuläre Symptomatik: Entsteht durch Kompression einer Nervenwurzel (z.B. bei Bandscheibenvorfall). Sie äußert sich durch scharfe, einschießende Schmerzen, die exakt in ein Dermatom ausstrahlen, begleitet von Sensibilitätsstörungen, motorischen Schwächen (Paresen) und Reflexausfällen.
- Spinalkanalstenose: Führt zur Claudicatio spinalis mit belastungsabhängigen Schmerzen und Schwäche in den Beinen, die sich durch Vornüberbeugen (Kyphosierung) bessern.
- Zervikale Myelopathie: Kennzeichen sind Gangunsicherheit, Feinmotorikstörungen der Hände und Pyramidenbahnzeichen (z.B. positiver Babinski-Reflex).
Diagnostik
Die Diagnostik basiert auf einer sorgfältigen Anamnese und einer umfassenden körperlichen sowie neurologischen Untersuchung. Die Bildgebung ist zentral zur Bestätigung der Diagnose und zum Ausschluss anderer Ursachen.
- Röntgen: Standarduntersuchung zur Darstellung knöcherner Veränderungen wie Spondylophyten, Höhenminderung der Bandscheibenfächer und Arthrose der Facettengelenke.
- MRT (Magnetresonanztomographie): Methode der Wahl zur detaillierten Beurteilung von Bandscheiben, Nervenwurzeln, Rückenmark und zur Abgrenzung von Entzündungen (Spondylodiszitis).
- CT (Computertomographie): Wird oft zur genauen Beurteilung knöcherner Strukturen, z.B. bei einer Spinalkanalstenose, eingesetzt.
Therapie
Konservative Therapie
Die konservative Therapie ist die primäre Behandlungsstrategie mit den Zielen Schmerzreduktion, Funktionsverbesserung und Kräftigung der Rumpfmuskulatur.
- Physiotherapie: Aktive Bewegungstherapie zur Kräftigung der Rücken- und Bauchmuskulatur, Haltungsschulung und Rückenschule.
- Medikamentöse Schmerztherapie: Einsatz von NSAR (z.B. Ibuprofen, Diclofenac) nach dem WHO-Stufenschema, ggf. ergänzt durch Muskelrelaxanzien oder Opioide.
- Physikalische Therapie: Wärmeapplikationen (Fango, Rotlicht) zur Muskelentspannung und Elektrotherapie (TENS).
- Interventionelle Schmerztherapie: Bei unzureichendem Erfolg werden bildgestützte Infiltrationen wie die Facetteninfiltration (Lokalanästhetika, Kortikoide) oder die periradikuläre Therapie (PRT) bei radikulärer Symptomatik durchgeführt.
Operative Therapie
Eine Operation wird bei Versagen der konservativen Therapie oder bei Vorliegen spezifischer, schwerwiegender Symptome erwogen.
Absolute (Notfall-)Indikationen für eine Operation sind:
- Cauda-equina-Syndrom (gekennzeichnet durch Blasen- und/oder Mastdarmstörungen sowie eine Reithosenanästhesie)
- Höhergradige und fortschreitende Lähmungen (Paresen, Kraftgrad unter 3/5)
Relative Indikationen umfassen therapierefraktäre Schmerzen über 6-12 Wochen, eine Spinalkanalstenose mit erheblicher Einschränkung der Lebensqualität (z.B. stark verkürzte Gehstrecke) oder eine segmentale Instabilität (z.B. Wirbelgleiten).
Prognose
Der Verlauf ist chronisch-progredient mit intermittierenden Beschwerdephasen. Die meisten Patienten sprechen gut auf eine konservative Therapie an. Die degenerativen Veränderungen selbst sind nicht umkehrbar. Entscheidend für die Therapie ist der Leitsatz: Behandelt wird der symptomatische Patient, nicht der radiologische Befund.