Chronische Lymphatische Leukämie (CLL): Definition und Einordnung
Die chronische lymphatische Leukämie (CLL) ist das häufigste niedrigmaligne B-Zell-Lymphom mit einem leukämischen Verlauf. Streng genommen handelt es sich nicht um eine primäre Leukämie, sondern um ein Non-Hodgkin-Lymphom. Die Erkrankung ist durch eine klonale Proliferation und Akkumulation von reifen, aber nicht immunkompetenten B-Lymphozyten im Blut, Knochenmark und den peripheren lymphatischen Organen gekennzeichnet.
Epidemiologie und Ätiologie
Die CLL ist die häufigste hämatologische Neoplasie in der westlichen Welt und betrifft vorwiegend ältere Patienten, meist über 70 Jahre. Eine familiäre Häufung wird beobachtet, und eine Exposition gegenüber Benzol oder anderen Lösungsmitteln kann das Risiko erhöhen.
Stadien und Klassifikation
Vorstufe: Monoklonale B-Zell-Lymphozytose (MBL)
Die MBL gilt als prämaligne Vorstufe der CLL. Sie ist klinisch asymptomatisch und durch eine klonale Proliferation von B-Zellen mit CLL-Phänotyp bei einer Lymphozytenzahl von unter 5000/µl definiert. Regelmäßige Kontrollen werden empfohlen.
Klassifikation nach Binet und Rai
Die Stadieneinteilung der CLL erfolgt klinisch und anhand des Blutbildes nach den Klassifikationen von Binet (A, B, C) und Rai (0-IV). Beide Systeme bewerten das Ausmaß der Lymphozytose, die Beteiligung von Lymphknoten, Leber und Milz sowie das Vorhandensein von Anämie oder Thrombozytopenie. Fortgeschrittene Stadien (z.B. Binet C) sind durch eine Anämie (Hb < 10 g/dl) und/oder Thrombozytopenie (< 100.000/µl) definiert.
Symptomatik
Die CLL verläuft oft lange asymptomatisch und wird häufig als Zufallsbefund entdeckt. Typische Symptome, wenn sie auftreten, sind:
- Schmerzlose (indolente) Lymphadenopathie
- Splenomegalie (Milzvergrößerung)
- Unspezifische Allgemeinsymptome wie Leistungsabfall
Diagnostik
Die Diagnose stützt sich auf charakteristische Befunde in der klinischen Untersuchung und im Labor.
Labor und Blutausstrich
Ein entscheidender Hinweis ist oft ein Zufallsbefund: eine persistierende, chronische Lymphozytose bei älteren Menschen. Das Blutbild zeigt eine Leukozytose mit einem sehr hohen Lymphozytenanteil (70-95 %). Im peripheren Blutausstrich finden sich neben vermehrten reifen Lymphozyten auch sogenannte Gumprecht-Kernschatten. Diese sind Artefakte, die durch die erhöhte mechanische Fragilität der malignen Lymphozyten beim Ausstreichen entstehen und als typisch, wenn auch unspezifisch, für die CLL gelten.
Immunphänotypisierung
Die Sicherung der Diagnose erfolgt durch die Immunphänotypisierung der Lymphozyten. Charakteristisch ist der Nachweis des B-CLL-Immunphänotyps mit den Oberflächenmarkern CD5, CD19 und CD23.
Therapie
Die Behandlungsstrategie der CLL ist stark individualisiert und hängt vom Krankheitsstadium, den Symptomen, dem Allgemeinzustand und genetischen Risikofaktoren ab.
Therapieindikation und Watch-and-Wait
Ein zentraler Grundsatz lautet: Nicht jede CLL wird sofort therapiert. In frühen, asymptomatischen Stadien (z.B. Binet A) wird in der Regel eine "Watch-and-wait"-Strategie verfolgt, bei der die Erkrankung nur beobachtet wird. Eine Therapie ist erst bei symptomatischen Stadien (Binet B und C) indiziert.
Therapieprinzipien
Die Wahl der Therapie richtet sich maßgeblich nach dem Alter und dem Allgemeinzustand des Patienten. Vereinfacht gilt: Umso älter und gebrechlicher der Patient, desto weniger aggressiv die Therapie. Bei fitten Patienten kommt oft eine kombinierte Chemoimmuntherapie (z.B. FCR-Schema) zum Einsatz. Bei weniger fitten oder gebrechlichen Patienten werden schonendere Regime oder eine rein supportive Therapie gewählt. Vor Therapiebeginn ist der Ausschluss bestimmter Hochrisiko-Mutationen (z.B. del(17p) oder TP53-Mutation) essenziell.
Prognose und Komplikationen
Die CLL ist in der Regel nicht heilbar, außer durch eine allogene Stammzelltransplantation bei ausgewählten Hochrisiko-Patienten. Der Verlauf ist sehr variabel und hängt stark vom zytogenetischen Risikoprofil ab.
Wichtige Komplikationen
- Infektionen: Sie sind die häufigste Todesursache bei CLL-Patienten. Ursächlich sind eine Granulozytopenie und ein Antikörper-Mangel-Syndrom durch die funktionsuntüchtigen B-Zellen.
- Autoimmunzytopenien: Hierzu zählen die autoimmunhämolytische Anämie (AIHA) und die Autoimmunthrombozytopenie.
- Richter-Syndrom: Dies beschreibt den Übergang der CLL in ein aggressives, oft therapierefraktäres B-Zell-Lymphom mit schlechter Prognose.
- Sekundärmalignome: Das Risiko für weitere Krebserkrankungen ist erhöht.