Definition und Indikationen der Blutgasanalyse (BGA)
Die Blutgasanalyse (BGA) ist eine essenzielle diagnostische Methode zur schnellen Beurteilung der Lungenfunktion und des Säure-Basen-Haushalts. Sie misst die sogenannten Blutgase – primär den Sauerstoffpartialdruck (pO2) zur Beurteilung der Oxygenierung und den Kohlendioxidpartialdruck (pCO2) zur Beurteilung der Ventilation – sowie den pH-Wert des Blutes. Diese Untersuchung ist unverzichtbar in der Notfall- und Intensivmedizin.
Typische Indikationen für eine BGA umfassen:
- Überwachung von beatmeten Patienten
- Diagnostik und Verlaufsbeurteilung einer respiratorischen Insuffizienz
- Schwere Stoffwechselentgleisungen (z.B. diabetische Ketoazidose, Intoxikationen, Nierenerkrankungen)
- Beurteilung von Schock- und Koma-Zuständen
BGA-Parameter: Messwerte und abgeleitete Werte
Bei einer BGA werden einige Werte direkt im heparinisierten Vollblut gemessen, während andere daraus berechnet werden. Die korrekte Interpretation dieser Werte ist entscheidend für die Diagnose von Blutgasstörungen.
Direkt gemessene Parameter
- pH-Wert: Der Referenzbereich für arterielles Blut liegt bei 7,35–7,45. Ein Wert unter 7,35 deutet auf eine Azidose, ein Wert über 7,45 auf eine Alkalose hin. Ein normaler pH-Wert kann auch bei einer vollständig kompensierten Störung vorliegen.
- Sauerstoffpartialdruck (pO2): Zeigt die Oxygenierung des Blutes an. Der arterielle Referenzbereich (paO2) ist altersabhängig und liegt bei Erwachsenen bei ca. 71–104 mmHg.
- Kohlendioxidpartialdruck (pCO2): Ist das Maß für die alveoläre Ventilation. Der arterielle Referenzbereich (paCO2) liegt bei 35–45 mmHg. Ein erhöhter Wert wird als Hyperkapnie bezeichnet.
Abgeleitete (berechnete) Parameter
- Bikarbonat (HCO3-): Der wichtigste Puffer im Blut. Der Referenzbereich liegt bei 22–26 mmol/l. Veränderungen des Bikarbonats deuten auf eine metabolische Komponente der Störung hin.
- Basenexzess (BE) / Basenabweichung (BA): Gibt die Abweichung der Pufferbasen vom Normalwert an. Der Referenzbereich liegt bei –2,0 bis +3,0 mmol/l. Ein pathologisch veränderter BE ist der primäre Indikator für eine metabolische Störung des Säure-Basen-Haushalts. Ein negativer BE (Basendefizit) deutet auf eine metabolische Azidose, ein positiver BE (Basenüberschuss) auf eine metabolische Alkalose hin.
Blutgasstörungen: Azidose und Alkalose
Störungen des Säure-Basen-Haushalts werden in vier Grundformen unterteilt, je nachdem, ob es sich um eine Azidose (pH < 7,35) oder Alkalose (pH > 7,45) handelt und ob die Ursache respiratorisch (pCO2-vermittelt) oder metabolisch (BE/HCO3--vermittelt) ist.
Respiratorische Azidose
Eine respiratorische Azidose entsteht durch eine unzureichende Abatmung von CO2 (Hypoventilation), was zu einer Hyperkapnie führt.
- Ursache: Erhöhter pCO2.
- Labor: pCO2 ↑, BE kompensatorisch ↑.
- Klinik: Akute Atemdepression (z.B. bei Opioidintoxikation) oder chronische Lungenerkrankungen (z.B. schwere COPD).
- Therapie: Die Behandlung zielt auf die Verbesserung der Ventilation ab. Eine respiratorische Azidose wird nicht mit Puffersubstanzen behandelt, sondern beatmet! Ziel ist die Normalisierung des pCO2 durch assistierte oder kontrollierte Beatmung (z.B. NIV).
Metabolische (nicht-respiratorische) Azidose
Eine metabolische Azidose wird durch einen Basenverlust oder einen Säureüberschuss verursacht.
- Ursache: Erniedrigter BE.
- Labor: BE ↓, pCO2 kompensatorisch ↓.
- Klinik: Typische Ursachen sind die diabetische Ketoazidose, Laktatazidose (z.B. im Schock), Nierenversagen (Retentionsazidose) oder schwere Diarrhö (Subtraktionsazidose durch Bikarbonatverlust). Die respiratorische Kompensation zeigt sich oft als vertiefte, schnelle Atmung (Kußmaul-Atmung).
- Therapie: Im Vordergrund steht die Behandlung der Grunderkrankung. Bei schwerer Azidose kann eine vorsichtige Pufferung mit Natriumbikarbonat erfolgen.
Respiratorische Alkalose
Eine respiratorische Alkalose entsteht durch eine übermäßige Abatmung von CO2 (Hyperventilation).
- Ursache: Erniedrigter pCO2.
- Labor: pCO2 ↓, BE kompensatorisch ↓.
- Klinik: Häufig psychogen bedingt (Hyperventilationssyndrom), aber auch als Kompensation einer Hypoxie (z.B. bei Lungenembolie, Pneumonie) oder bei zentralnervösen Störungen.
- Therapie: Behandlung der Ursache. Bei psychogener Hyperventilation kann eine beruhigende Gesprächsführung oder eine Rückatmung (z.B. in eine Tüte) helfen.
Metabolische (nicht-respiratorische) Alkalose
Eine metabolische Alkalose wird durch einen Basenüberschuss oder einen Säureverlust verursacht.
- Ursache: Erhöhter BE.
- Labor: BE ↑, pCO2 kompensatorisch ↑.
- Klinik: Häufigste Ursachen sind der Verlust von saurem Magensaft durch starkes Erbrechen oder eine Diuretikatherapie. Die respiratorische Kompensation erfolgt durch eine Hypoventilation, die jedoch durch den einsetzenden Sauerstoffmangel limitiert ist.
- Therapie: Behandlung der Ursache, Ausgleich von Volumen- und Elektrolytdefiziten (insbesondere Kalium und Chlorid).
Kompensation und Interpretation
Der Körper versucht, jede Säure-Basen-Störung zu kompensieren, um den pH-Wert im Normbereich zu halten. Die respiratorische Kompensation (durch Anpassung der Atmung) setzt schnell ein (Minuten bis Stunden), während die metabolische Kompensation (durch die Nieren) langsam ist (Tage).
Eine systematische Interpretation der BGA erfolgt in drei Schritten:
- pH-Wert analysieren: Liegt eine Azidose (<7,35), eine Alkalose (>7,45) oder ein Normalbefund (kompensierte Störung) vor?
- pCO2 analysieren: Ist der pCO2-Wert so verändert, dass er die pH-Verschiebung erklärt? (↑ pCO2 bei Azidose oder ↓ pCO2 bei Alkalose → respiratorische Störung).
- BE analysieren: Ist der BE-Wert so verändert, dass er die pH-Verschiebung erklärt? (↓ BE bei Azidose oder ↑ BE bei Alkalose → metabolische Störung).
Liegt eine Störung vor, wird der jeweils andere Parameter (pCO2 oder BE) auf eine kompensatorische Gegenregulation geprüft.