Wirkmechanismus und Effekte von Benzodiazepinen
Benzodiazepine sind eine Gruppe von psychoaktiven Substanzen, die als positive allosterische Modulatoren am GABAA-Rezeptor wirken. Sie verstärken die Bindung des körpereigenen Neurotransmitters GABA an den Rezeptor, was zu einer erhöhten neuronalen Hemmung im zentralen Nervensystem führt. Daraus resultieren die folgenden Hauptwirkungen:
- Anxiolytisch: angstlösend
- Sedativ/Hypnotisch: beruhigend bis schlaffördernd (vor allem in hohen Dosen)
- Zentral muskelrelaxierend (myotonolytisch): entspannt die Skelettmuskulatur, was jedoch die Sturzgefahr und das Frakturrisiko, insbesondere bei älteren Patienten, erhöht.
- Antikonvulsiv: krampflösend (in hohen Dosen)
- Anterograd amnestisch: eine häufig unerwünschte Wirkung, die das Bilden neuer Erinnerungen beeinträchtigt.
Wichtig ist, dass Benzodiazepine keine analgetische oder antipsychotische Wirkung besitzen. Bei längerer Anwendung führt eine Down-Regulation der GABAA-Rezeptoren zu einer Toleranzentwicklung.
Indikationen
Aufgrund ihres breiten Wirkspektrums werden Benzodiazepine bei verschiedenen Krankheitsbildern eingesetzt:
- Akute Angst- und Erregungszustände: Kurzzeitige Behandlung, z. B. mit Lorazepam oder Alprazolam.
- Prämedikation und Analgosedierung: Vor diagnostischen oder operativen Eingriffen, meist mit dem kurzwirksamen Midazolam.
- Behandlung von Krampfanfällen: Insbesondere zur Durchbrechung eines Status epilepticus oder eines Grand-Mal-Anfalls.
- Muskelrelaxation: Bei Spasmen der Skelettmuskulatur, wie bei Tetanus oder zentraler Spastik.
- Alkoholentzugssyndrom: Nur zur kurzzeitigen Linderung der Symptome.
Einteilung nach Wirkdauer
Die Auswahl des spezifischen Benzodiazepins richtet sich primär nach der benötigten Wirkdauer.
Kurz wirksame Benzodiazepine
Substanzen wie Midazolam (Halbwertszeit 1–4 Stunden) werden vor allem in der Anästhesie und zur Sedierung eingesetzt. Sie bergen ein besonders hohes Suchtpotenzial, weshalb die Verordnung streng kontrolliert und zeitlich begrenzt erfolgen muss.
Mittellang wirksame Benzodiazepine
Lorazepam (Halbwertszeit 8–24 Stunden) ist ein häufig verwendetes Anxiolytikum. Auch hier besteht ein hohes Abhängigkeitspotenzial, und beim Absetzen kann es zu einer Rebound-Insomnie kommen.
Lang wirksame Benzodiazepine
Diazepam (Halbwertszeit 30–70 Stunden durch aktive Metaboliten) wird bei Anxiolyse, Sedierung und zur Behandlung von Krampfanfällen eingesetzt. Aufgrund der langen Wirkdauer besteht ein hohes Risiko für Kumulation und "Hang-over"-Effekte am Folgetag.
Unerwünschte Wirkungen (UAW) und Risiken
Die Nebenwirkungen sind oft eine zu starke Ausprägung der erwünschten Effekte.
- Missbrauch und körperliche Abhängigkeit: Das größte Risiko bei der Therapie. Bereits nach wenigen Wochen regelmäßiger Einnahme kann eine Abhängigkeit entstehen.
- Zentralnervöse Dämpfung: Müdigkeit, Schläfrigkeit, verminderte Reaktions- und Konzentrationsfähigkeit ("Hang-over").
- Atemdepression: Ein lebensbedrohliches Risiko, das durch die gleichzeitige Einnahme von Alkohol, Opioiden oder bei Patienten mit vorbestehenden Atemwegserkrankungen wie COPD drastisch verstärkt wird.
- Entzugssymptomatik: Beim plötzlichen Absetzen können schwere Symptome wie Unruhe, Angst, Schlaflosigkeit (Rebound-Insomnie) und Krampfanfälle auftreten. Daher ist ein langsames, schrittweises Ausschleichen der Dosis essenziell.
- Paradoxe Erregung: Insbesondere bei Kindern und älteren Menschen kann es zu Unruhe, Agitiertheit und Schlaflosigkeit kommen.
Wichtige Kontraindikationen
Benzodiazepine dürfen unter bestimmten Umständen nicht oder nur mit äußerster Vorsicht angewendet werden:
- Abhängigkeitserkrankungen in der Anamnese (Alkohol, Drogen, Medikamente).
- Akute respiratorische Insuffizienz, schwere obstruktive Atemwegserkrankungen oder Schlafapnoe-Syndrom.
- Myasthenia gravis (Muskelschwäche).
- Akutes Engwinkelglaukom.
- Schwangerschaft (besonders 1. Trimenon) und Stillzeit.
- Gleichzeitiger Konsum von Alkohol (potenziert die atemdepressive und sedierende Wirkung).
Akute Überdosierung und Therapie
Eine Intoxikation mit Benzodiazepinen allein ist selten tödlich, wird aber in Kombination mit anderen zentral dämpfenden Substanzen (Mischintoxikation mit Alkohol oder Opioiden) lebensgefährlich. Das Hauptsymptom ist eine ausgeprägte Somnolenz bis hin zum Koma mit Atemdepression.
Antidot: Flumazenil
Zur Aufhebung der Wirkung steht der spezifische Benzodiazepin-Antagonist Flumazenil zur Verfügung. Er wird intravenös verabreicht und wirkt sehr schnell. Aufgrund seiner kurzen Halbwertszeit (ca. 60 Minuten) kann eine wiederholte Gabe notwendig sein. Wichtig: Vor der Gabe von Flumazenil müssen eine Epilepsie oder andere ZNS-Störungen ausgeschlossen werden, da die Aufhebung der antikonvulsiven Wirkung einen Krampfanfall auslösen kann.