Definition und Epidemiologie der Beckenfraktur
Eine Beckenfraktur ist ein Knochenbruch des Beckens. Obwohl sie insgesamt relativ selten auftritt, ist sie eine häufige Begleitverletzung bei einem Polytrauma und betrifft etwa 20 % dieser Fälle.
Ätiologie
Die Ursachen für eine Fraktur des Beckens unterscheiden sich je nach Alter des Patienten:
- Junge Patienten: Die Fraktur entsteht typischerweise durch die Einwirkung starker Kräfte, wie bei einem Hochrasanztrauma (z. B. Verkehrsunfall) oder einem Sturz aus großer Höhe.
- Ältere Patienten: Hier ist oft eine bereits bestehende Osteoporose ein wesentlicher Risikofaktor, sodass bereits geringere Krafteinwirkungen zu einer Fraktur führen können.
Einteilung nach AO-Klassifikation
Die gängigste Einteilung von Beckenringfrakturen erfolgt nach der AO-Klassifikation, die die Stabilität des hinteren Beckenrings bewertet:
- Typ-A-Frakturen: Dies sind die häufigsten Beckenfrakturen. Der hintere Beckenring ist stabil.
- Typ-B-Frakturen: Bei diesen Frakturen, auch als "Open-book"-Fraktur bekannt, ist die dorsale Stabilität nur teilweise erhalten.
- Typ-C-Frakturen: Diese Frakturen sind durch eine komplette dorsale Instabilität gekennzeichnet und stellen die schwerste Verletzungsform dar.
Weitere Klassifikationen existieren nach Pennal und Tile sowie nach Young-Burgess.
Diagnostik
Klinische Untersuchung und Erstmaßnahmen
Der Verdacht auf eine Beckenfraktur erfordert eine sofortige und strukturierte Untersuchung, die in der Regel im Schockraum stattfindet. Essenziell ist die Überprüfung der peripheren Durchblutung, Motorik und Sensibilität (pDMS). Je nach Befund kann eine digitale rektale Untersuchung (DRU) sowie eine vaginale Untersuchung notwendig sein, um Begleitverletzungen zu identifizieren.
Bildgebende Verfahren
Die Bildgebung ist entscheidend für die genaue Diagnose und Therapieplanung:
- Röntgenaufnahmen des Beckens: Eine Beckenübersichtsaufnahme (a.-p.) ist der erste Schritt. Ergänzend können spezielle Projektionen wie die Inlet-Aufnahme (zur Beurteilung von Rotationsfehlstellungen) und die Outlet-Aufnahme (zur Darstellung von Vertikalverschiebungen) angefertigt werden.
- Sonografie des Abdomens: Dient dem schnellen Nachweis von Begleitverletzungen und intraabdominellen Flüssigkeitsansammlungen (Hämatome).
- Ganzkörper-CT: Bietet die beste Darstellung der Frakturanatomie und möglicher Begleitverletzungen. Wichtig: Ein CT sollte nur bei kreislaufstabilen Patienten durchgeführt werden.
- Retrograde Urethrozystografie: Wird bei Verdacht auf eine Verletzung der Harnröhre, z. B. bei sichtbarem Blut im Urin (Makrohämaturie), eingesetzt.
Therapie
Die Behandlung richtet sich nach der Stabilität der Fraktur und dem Zustand des Patienten.
- Absolute Priorität: An erster Stelle steht immer die hämodynamische Stabilisierung des Patienten, da Beckenfrakturen mit lebensbedrohlichen Blutungen einhergehen können.
- Instabile Frakturen: Zur primären Stabilisierung und Blutstillung werden präklinisch ein Beckengurt und klinisch eine Beckenzwinge oder ein Fixateur externe eingesetzt. Die definitive operative Versorgung mittels Osteosynthese (Platten, Schrauben) erfolgt sekundär, meist nach 2 bis 7 Tagen.
- Stabile Frakturen: Typ-A-Frakturen können oft konservativ behandelt werden. Bei Typ-B-Frakturen ist je nach Ausmaß eine konservative oder operative Therapie möglich. Typ-C-Frakturen erfordern hingegen immer eine operative Versorgung.
Komplikationen
Beckenfrakturen sind mit einem hohen Risiko für schwere Komplikationen verbunden:
- Retroperitoneale Massenblutung: Dies ist die gefährlichste akute Komplikation. Die Blutung stammt meist aus Rupturen des venösen Plexus am Kreuzbein (Sakralvenenplexus) oder aus Ästen der inneren Beckenarterie oder -vene (A./V. iliaca interna).
- Begleitverletzungen: Häufig sind Verletzungen von Bauchorganen, der Harnblase, der Harnröhre oder von Nerven.
- Postoperative tiefe Beinvenenthrombose (TBVT): Das Risiko ist durch die Immobilisation und mögliche Kompression von Gefäßen erhöht.