Terminologie
Das Akute Atemnotsyndrom (Acute Respiratory Distress Syndrome, ARDS) ist auch unter den Bezeichnungen Schocklungensyndrom (umgangssprachlich "Schocklunge"), akutes Lungenversagen oder akute respiratorische Insuffizienz bekannt.
Definition
Das ARDS ist ein lebensbedrohliches Krankheitsbild, das durch eine akute, schwere Entzündungsreaktion der Lunge gekennzeichnet ist. Leitsymptome sind eine plötzlich einsetzende, schwere Dyspnoe (Atemnot), eine ausgeprägte Hypoxämie (Sauerstoffmangel im Blut) und diffuse, beidseitige Infiltrate im Röntgenbild der Lunge, die nicht primär durch eine Herzinsuffizienz erklärt werden können.
Prognose und Epidemiologie
Das ARDS ist mit einer hohen Letalität von etwa 50 % assoziiert und betrifft circa 2 % aller Patienten auf Intensivstationen.
Ätiologie
Die Ursachen für den diffusen Lungenschaden werden in direkte (pulmonale) und indirekte (extrapulmonale) Auslöser unterteilt.
Direkte (pulmonale) Ursachen
- Häufig: Bakterielle Pneumonie (Lungenentzündung)
- Aspiration von Magensaft oder Wasser (z.B. bei Ertrinken)
- Lungentrauma
Indirekte (extrapulmonale) Ursachen
- Häufig: Sepsis und SIRS (Systemic Inflammatory Response Syndrome)
- Schweres Trauma (Polytrauma) oder ausgedehnte Verbrennungen
- Schockzustände verschiedener Genese
- Akute Pankreatitis
- Embolien (Fett-, Fruchtwasserembolie)
- Disseminierte intravasale Gerinnung (DIC)
- Massentransfusionen
Pathophysiologie
Unabhängig vom Auslöser kommt es zu einer massiven Ausschüttung von Entzündungsmediatoren, die zu einer Schädigung der Alveolarmembran und des Kapillarendothels führen. Dies resultiert in einem erhöhten kapillären Leck (Capillary Leakage) mit Austritt von proteinreicher Flüssigkeit in das Interstitium und die Alveolen – es entsteht ein nicht-kardiales Lungenödem. Die Folge ist eine Abnahme der Lungen-Compliance (Dehnbarkeit), die Bildung von Atelektasen (kollabierte Lungenabschnitte) und ein schwerer Gasaustauschstörung (intrapulmonaler Rechts-links-Shunt), die in einem respiratorischen Versagen mündet.
Phasen des ARDS
- Exsudative Phase (Frühphase, ca. 1 Woche): Gekennzeichnet durch ein interstitielles Lungenödem.
- Zwischenphase: Bildung von Atelektasen führt zu Hypoxie und Hyperkapnie.
- Fibrotische Phase (Spätphase, > 2 Wochen): Proliferation von Fibroblasten führt zu einem bindegewebigen Umbau der Lunge (Lungenfibrose).
Stadieneinteilung und Schweregrade
Die Einteilung des ARDS erfolgt nach der Berlin-Definition anhand des Grades der Oxygenierungsstörung, gemessen durch den Horowitz-Index (PaO2 / FiO2). Ein PEEP (positiv-endexspiratorischer Druck) von ≥ 5 cmH₂O ist Voraussetzung.
- Mildes ARDS: Horowitz-Index 201–300 mmHg
- Moderates ARDS: Horowitz-Index 101–200 mmHg
- Schweres ARDS: Horowitz-Index ≤ 100 mmHg
Der Schweregrad korreliert direkt mit dem Mortalitätsrisiko und der voraussichtlichen Beatmungsdauer.
Symptomatik
Das Krankheitsbild beginnt akut und ist durch eine rasch fortschreitende Dyspnoe, Tachypnoe (erhöhte Atemfrequenz), Tachykardie (erhöhte Herzfrequenz) und Zyanose (Blaufärbung der Haut/Schleimhäute) gekennzeichnet, die bis zur respiratorischen Globalinsuffizienz führen kann.
Diagnostik
Die Diagnose wird anhand der klinischen, radiologischen und gasanalytischen Befunde gestellt.
Diagnostische Kriterien (Berlin-Definition)
- Zeitliches Kriterium: Akuter Beginn innerhalb einer Woche nach einem bekannten klinischen Auslöser oder bei neu aufgetretenen bzw. sich verschlechternden Atembeschwerden.
- Radiologisches Kriterium: Beidseitige Verschattungen (Infiltrate) im Röntgen-Thorax oder CT, die nicht vollständig durch Ergüsse, Atelektasen oder Rundherde erklärt werden können.
- Ursache des Ödems: Das respiratorische Versagen ist nicht vollständig durch eine Herzinsuffizienz oder eine Hypervolämie erklärbar. Dies muss ggf. durch eine Echokardiografie objektiviert werden.
- Oxygenierungsstörung: Klassifikation in mild, moderat oder schwer anhand des Horowitz-Index (siehe oben).
Weitere Diagnostik
- Blutgasanalyse (BGA): Zeigt initial eine Hypoxämie (Partialinsuffizienz), im Verlauf auch eine Hyperkapnie (Globalinsuffizienz).
- Bildgebung (Röntgen/CT): Typisch sind beidseitige, feinfleckige bis konfluierende Infiltrate. Im späteren Verlauf können retikuläre Zeichnungen als Zeichen einer beginnenden Fibrosierung auftreten.
- Lungenfunktion: Messung einer reduzierten Lungen-Compliance am Beatmungsgerät.
Differenzialdiagnosen
- Akute Linksherzinsuffizienz mit kardialem Lungenödem
- Schwere, beidseitige Pneumonie
- Lungenembolie
- Überwässerung ("Fluid Lung"), z.B. bei Niereninsuffizienz
Therapie
Die Behandlung des ARDS erfordert eine intensivmedizinische Versorgung und zielt auf die Stabilisierung des Gasaustausches und die Behandlung der auslösenden Ursache ab.
- Therapie der Grunderkrankung: Die Behandlung der auslösenden Ursache (z.B. Sepsis, Pneumonie) ist entscheidend.
- Lungenprotektive Beatmung: Dies ist der Eckpfeiler der Therapie. Ziel ist es, die Oxygenierung zu sichern und gleichzeitig beatmungsassoziierte Lungenschäden (VILI) zu minimieren. Dies wird durch niedrige Tidalvolumina (ca. 6 ml/kg Idealgewicht) und einen adäquaten PEEP erreicht.
- Lagerungstherapie: Die intermittierende Bauchlagerung (135°-180°) für mehrere Stunden täglich kann den Gasaustausch durch eine bessere Belüftung der dorsalen Lungenabschnitte verbessern.
- Flüssigkeitsmanagement: Eine strenge und restriktive Flüssigkeitsbilanzierung ist essenziell, um das Lungenödem nicht zu verschlimmern. Bei Sepsis kann initial eine höhere Volumenzufuhr notwendig sein.
- Supportive Maßnahmen: Gegebenenfalls werden Katecholamine zur Kreislaufstabilisierung und Antibiotika bei bakteriellen Infektionen eingesetzt.