Akute Myeloische Leukämie (AML): Definition und Pathophysiologie
Die akute myeloische Leukämie (AML) ist eine maligne Neoplasie, die von myeloischen Vorläuferzellen ausgeht und vor allem Erwachsene betrifft. Pathophysiologisch kommt es zu einer ungehemmten Proliferation von unreifen, nicht funktionstüchtigen Vorläuferzellen, den sogenannten Blasten, im Knochenmark. Diese Blasten verdrängen die normale Hämatopoese, was zu einer gestörten Blutbildung führt. Die leukämischen Zellen finden sich nicht nur im Knochenmark, sondern auch im peripheren Blut und können andere Organe wie Leber, Milz, Lymphknoten und das ZNS infiltrieren.
Symptomatik und klinisches Bild
Die Symptome der AML treten typischerweise akut auf und umfassen ein ausgeprägtes Krankheitsgefühl mit Müdigkeit und Schwäche. Die klinischen Manifestationen sind primär auf die Knochenmarkinsuffizienz zurückzuführen:
- Anämie: Führt zu Blässe, Leistungsminderung und Dyspnoe.
- Granulozytopenie: Verursacht eine erhöhte Infektneigung, insbesondere durch bakterielle und mykotische Erreger.
- Thrombozytopenie: Führt zu einer erhöhten Blutungsneigung mit Petechien, Epistaxis (Nasenbluten) und Zahnfleischbluten.
Bei der körperlichen Untersuchung können eine Splenomegalie und Hepatomegalie auffallen. Spezifische Symptome wie eine hypertrophe Gingivitis (Zahnfleischinfiltration) können bei myelomonozytären Subtypen (M4/M5) auftreten.
Diagnostik der AML
Der Verdacht auf eine AML ergibt sich aus dem klinischen Bild und wird durch Laboruntersuchungen bestätigt.
Blutbild und Blutausstrich
Das Blutbild zeigt typischerweise eine Anämie und Thrombozytopenie. Die Leukozytenzahl kann erhöht, normal oder erniedrigt sein. Im peripheren Blutausstrich sind unreife leukämische Blasten nachweisbar. Pathognomonisch, aber nur in etwa 30 % der Fälle vorhanden, sind Auerstäbchen – stäbchenförmige Einschlüsse im Zytoplasma der Myeloblasten.
Knochenmarkuntersuchung
Die entscheidende Untersuchung zur Diagnosesicherung ist die Knochenmarkaspiration und -biopsie. Das Knochenmark ist meist hyperzellulär. Die Diagnose einer AML wird bestätigt, wenn der Anteil der Blasten im Knochenmark über 20 % liegt. Charakteristisch ist zudem der sogenannte "Hiatus leucaemicus", bei dem mittlere Reifungsstufen der Granulopoese fehlen und nur sehr unreife Blasten neben reifen Zellen zu finden sind.
Weitere Diagnostik zur Klassifikation
Zur genauen Einteilung der AML-Subtypen und zur Abschätzung der Prognose sind weitere spezialisierte Untersuchungen unerlässlich:
- Zytochemie: Spezifische Färbungen (z.B. Peroxidase, Esterase) helfen bei der Differenzierung von AML und akuter lymphatischer Leukämie (ALL) sowie bei der FAB-Klassifikation.
- Immunphänotypisierung: Mittels Durchflusszytometrie werden spezifische Oberflächenantigene (CD-Marker) auf den Blasten identifiziert, was eine genaue Subtypisierung ermöglicht.
- Zytogenetik und Molekulargenetik: Der Nachweis von chromosomalen Veränderungen (z.B. Translokationen wie t(15;17) bei der Promyelozytenleukämie) und Genmutationen ist entscheidend für die Risikostratifizierung und Therapieplanung.
Therapie der AML
Die Behandlung der AML ist intensiv und sollte in spezialisierten Zentren erfolgen. Die Therapiestrategie richtet sich nach dem Alter und Allgemeinzustand des Patienten sowie der zytogenetischen Risikostratifizierung.
Therapieprinzipien
Das primäre Ziel ist das Erreichen einer kompletten Remission. Dies geschieht in zwei Phasen:
- Induktionstherapie: Eine intensive Chemotherapie (z.B. das "7+3"-Schema mit Cytarabin und einem Anthrazyklin wie Daunorubicin) zur Zerstörung der Leukämiezellen.
- Konsolidierungstherapie: Nach Erreichen der Remission folgen weitere Chemotherapiezyklen oder eine Stammzelltransplantation, um verbliebene Leukämiezellen zu eliminieren und ein Rezidiv zu verhindern.
Bei Patienten mit hohem oder mittlerem Risiko ist die allogene Stammzelltransplantation oft die Therapie der Wahl, sofern ein passender Spender verfügbar ist. Eine Sonderform ist die Promyelozytenleukämie (APL, FAB M3) mit der Translokation t(15;17), die sehr gut auf eine zielgerichtete Therapie mit All-Trans-Retinolsäure (ATRA) in Kombination mit Chemotherapie oder Arsentrioxid anspricht.
Supportive Therapie
Eine umfassende supportive Behandlung ist entscheidend, um die Komplikationen der Krankheit und der intensiven Therapie zu beherrschen. Dazu gehören die Prophylaxe und Therapie von Infektionen (ggf. Umkehrisolation), die Transfusion von Blutprodukten (Erythrozyten, Thrombozyten) und die Prophylaxe des Tumorlyse-Syndroms.
Komplikationen
Die AML und ihre Therapie sind mit erheblichen Risiken verbunden.
- Infektionen: Schwere bakterielle und mykotische Infektionen bis hin zur Sepsis sind eine häufige und lebensbedrohliche Komplikation während der Aplasiephase nach der Chemotherapie.
- Blutungen: Aufgrund der Thrombozytopenie besteht ein hohes Blutungsrisiko.
- Tumorlyse-Syndrom: Durch den raschen Zerfall von Tumorzellen unter Therapie kann es zu schweren Stoffwechselentgleisungen kommen.
- ATRA-Syndrom: Eine spezifische Komplikation bei der Behandlung der APL mit Fieber, Lungeninfiltraten und Flüssigkeitsretention.
- Graft-versus-Host-Disease (GvHD): Eine schwere Komplikation nach allogener Stammzelltransplantation, bei der Spender-Immunzellen den Körper des Empfängers angreifen.