Akute Lymphatische Leukämie (ALL): Definition und Einteilung
Die akute lymphatische Leukämie (ALL) ist eine maligne hämatologische Erkrankung, die durch die Infiltration des Knochenmarks mit malignen Lymphoblasten gekennzeichnet ist. Ein zentrales diagnostisches Kriterium nach der WHO-Klassifikation ist ein Blastenanteil von über 25 % im Knochenmark. Liegt der Anteil unter 25 %, spricht man von einem lymphoblastischen Lymphom. Die ALL ist die häufigste Krebserkrankung im Kindesalter. Eine berufsbedingte Exposition gegenüber Benzol gilt als anerkannte Ursache und Berufskrankheit.
Einteilung der ALL
Die Klassifikation der ALL ist entscheidend für die Therapieplanung und Prognose. Man unterscheidet verschiedene Systeme:
- Immunphänotypisierung: Diese ist relevant für die Risikobewertung. Prognostisch besonders ungünstig sind die Philadelphia-Chromosom-positive ALL mit der Translokation t(9,22) und die ALL mit t(4,11), die vor allem bei Säuglingen auftritt.
- WHO-Klassifikation: Diese teilt die ALL nach Zellursprung ein:
- B-Vorläufer-ALL: Die häufigste Form (ca. 83 %).
- T-ALL: Macht etwa 14 % der Fälle aus.
- Reife B-ALL (Burkitt-Typ): Seltener (ca. 3 %), wird zu den Burkitt-Lymphomen gezählt und zeigt eine rasche Progredienz.
- FAB-Klassifikation: Eine ältere, morphologische Einteilung in die Subtypen L1 (typisch für Kinder, bessere Prognose), L2 (typisch für Erwachsene, schlechtere Prognose) und L3 (Burkitt-Typ).
Symptomatik und Klinik
Die Symptome der ALL entwickeln sich meist rasch und sind auf die Verdrängung der normalen Blutbildung (Hämatopoese) im Knochenmark zurückzuführen:
- Anämie: Führt zu Blässe, Müdigkeit und Leistungsschwäche.
- Thrombozytopenie: Verursacht eine erhöhte Blutungsneigung, z. B. Petechien oder Hämatome.
- Leukopenie/Funktionsstörung der Leukozyten: Führt zu einer erhöhten Infektanfälligkeit.
Zusätzlich kommt es durch die Infiltration von Organen mit Blasten zu weiteren Symptomen wie generalisierter Lymphadenopathie, Hepatosplenomegalie (mit Kapselspannungsschmerz) und Knochenschmerzen. Bei Kleinkindern äußern sich Knochenschmerzen oft dadurch, dass sie nicht mehr laufen möchten. Ein besonders wichtiges und häufiges Phänomen ist die ZNS-Beteiligung (Meningeosis leucaemica), die bei bis zu 50 % der Patienten auftritt und zu Kopfschmerzen, Übelkeit, Sehstörungen und Hirnnervenausfällen führen kann.
Diagnostik der ALL
Bei Verdacht auf eine ALL aufgrund der klinischen Symptomatik erfolgt eine stufenweise Diagnostik.
Labor und Blutbild
Ein Blutbild zeigt oft eine Anämie und Thrombozytopenie. Die Leukozytenzahl kann erhöht, normal oder erniedrigt sein. Im peripheren Blutausstrich sind häufig Lymphoblasten nachweisbar. Weitere Laborparameter wie LDH, Harnsäure und Leberwerte sind oft erhöht.
Diagnosesicherung
Die Diagnose wird durch eine Knochenmarkpunktion gesichert. Beweisend ist der Nachweis eines lymphatischen Blastenanteils von über 25 %. Zytochemische Untersuchungen helfen bei der Abgrenzung zur akuten myeloischen Leukämie (AML). Zur Abklärung einer ZNS-Beteiligung ist eine Lumbalpunktion mit Liquorzytologie obligatorisch.
Staging
Das Staging dient der Erfassung des Organbefalls und umfasst bildgebende Verfahren wie Abdomen-Sonografie (Suche nach Hepatosplenomegalie), Röntgen-Thorax (Mediastinalverbreiterung) und bei Bedarf ein Schädel-MRT.
Therapie der ALL
Die Behandlung der ALL erfolgt in spezialisierten Zentren, meist im Rahmen von Studien. Das Ziel ist die Erreichung einer kompletten Remission.
Chemotherapie
Die Basis der Behandlung ist eine risikoadaptierte, intensive Polychemotherapie, die sich über mehrere Jahre erstreckt und in Phasen abläuft:
- Vorphasetherapie: Dient der langsamen Reduktion der Tumormasse zur Prävention eines Tumorlyse-Syndroms.
- Induktionsphase: Intensive Chemotherapie zur Erreichung einer Remission.
- Konsolidierungsphase: Weitere Intensivierung der Therapie.
- Erhaltungsphase: Eine weniger intensive, aber langfristige Therapie über ca. 24 Monate.
Ein entscheidender Bestandteil der Therapie ist die Prophylaxe und Behandlung einer ZNS-Beteiligung. Diese erfolgt durch die intrathekale (direkt in den Liquorraum) und systemische Gabe von Chemotherapeutika bei allen Patienten.
Gezielte Therapien und Stammzelltransplantation
Bei Nachweis des Philadelphia-Chromosoms werden zusätzlich Tyrosinkinase-Inhibitoren (z. B. Imatinib) eingesetzt. Eine allogene Stammzelltransplantation ist für Hochrisikopatienten oder bei unzureichendem Ansprechen auf die Induktionstherapie indiziert.
Komplikationen
Tumorlyse-Syndrom
Eine der wichtigsten und gefährlichsten Therapiekomplikationen ist das Tumorlyse-Syndrom. Es entsteht durch den raschen Zerfall vieler Leukämiezellen zu Beginn der Chemotherapie. Dies führt zur Freisetzung von Zellbestandteilen ins Blut, was eine Hyperkaliämie (Risiko für Herzrhythmusstörungen), Hyperphosphatämie, Hyperurikämie und Hypokalzämie zur Folge hat und in einem akuten Nierenversagen münden kann. Zur Prophylaxe sind eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr und die Gabe von Medikamenten wie Allopurinol oder Rasburicase essenziell.